30 Juli 2023

Matthias Geske: Johannes Gutenberg

Gutenberg zerschnitt das beschriebene Blatt in viele Streifen. Jeder bekam einen und betrachtete ihn gespannt. „Andreas und Hans Riffe, seid so gut und tretet ans Fenster“, bat Gutenberg. „Und nun legt die Streifen aufeinander gegen die Scheibe!“ Sie taten es, und was ihnen die Sonne enthüllte, war ungeheuerlich: Die Buchstaben deckten sich völlig! Es schien, als habe ein Abschreiber sich den Spaß gemacht, an derselben Stelle die gleichen Ungenauigkeiten anzubringen. Das war doch unmöglich! „Was Ihr da seht, ist eine Probe meiner Kunst!“ sagte Gutenberg. Matthias Geske zeichnet Leben und Werk Johannes Gutenbergs nach, dessen Erfindung beweglicher Lettern dem Buchdruck Bahn brach und den Weg aus dem Mittelalter in eine neue Zeit bereitete.

Buchanfang
ERSTES KAPITEL
Die Ruhe war trügerisch, und Gutenberg hatte sein Versteck mit Bedacht gewählt. Halb im Schatten der Tannen war sein Pferd vor neugierigen Blicken geschützt.
Gutenberg wartete geduldig. Er war selber lange genug Soldat bei den Engländern gewesen, um zu wissen, daß jeder unüberlegte Schritt gefährlich werden konnte. Deshalb hatten sie auch entschieden, daß Waldfhogel allein in die Stadt ritt, ohne Gepäck, staubig von der Reise und mit harmlosem Blick. Er sollte Proviant kaufen und herausfinden, ob der Weg nach Paris frei sei. Gutenberg war sicher, daß Waldfhogel ihn nicht im Stich lassen würde, immerhin hatten sie gemeinsam gegen die Franzosen gekämpft, bis sich Gelegenheit bot, das Heer zu verlassen und mit einiger Beute nach Süden zu ziehen.
Der Krieg, den Engländer und Franzosen seit fast schon hundert Jahren um die Herrschaft in Frankreich führten, war immer noch nicht entschieden, und er interessierte Gutenberg auch nicht sonderlich. Er war froh, daß er unversehrt davongekommen war. Noch einmal würden sie ihn nicht zu den Soldaten pressen. Waldfhogel dachte genauso. Er war vor den Hussiten aus Prag geflohen und wollte zu seinem Onkel nach Paris.
Wenn alles gut ging, konnten sie schon morgen dort sein. Wenn sie nicht für Spione gehalten wurden und an den Galgen kamen. Oder einfach von einem Soldatenhaufen ausgeplündert wurden.
Unwillkürlich schaute Gutenberg zu seinem Rappen hinüber, doch der Satteltasche war nicht anzusehen, welch ein Schatz in ihr steckte.
Eben wollte er wieder nach Waldfhogel Ausschau halten, als ein ungewöhnliches Geräusch seine Aufmerksamkeit erregte. Hinter der Waldecke tauchte eine vierrädrige Karosse auf, mit festem Kasten und Dach. Bewaffnete flankierten sie und verdeckten die Wappen auf der Tür. Gutenberg strengte seine Augen an. Dann hatte er erkannt, wer da herankam, und eilte zu seinem Pferd. Er ritt unbekümmert der Karosse entgegen und wartete, die rechte Hand erhoben.
»Aus dem Weg!« herrschte ihn der Anführer an. Gutenberg ließ sein Pferd beiseite treten, der Wagen hielt. Ein zorniges Gesicht erschien im Fenster, und Gutenberg sah einem alten Freund in die Augen.

Illustrationen
Einband: Kolorierte Holzschnitte aus der »Weltchronik« von Schedel, Nürnberg
Vorsatz: Holzschnitte aus dem »Buch von dem Schachspiel« von Stephan, Lübeck
              Die Figuren stellen Vertreter verschiedener Stände dar Wappen der Familie Gutenberg
Innentitel: Alle Abbildungen sind Drucke und Buchillustrationen aus dem 15. Jahrhundert

Der Kinderbuchverlag Berlin

1. Auflage 1983
2. Auflage 1984
3. Auflage 1985
4. Auflage 1986
 

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