18 September 2023

Fritz Hennenberg: Leipziger Gewandhausorchester

Gewandhausdirektor Karl Zumpe gewidmet

Buchbeginn
Vom Wert der Tradition
Seit mehr als zweihundert Jahren werden in Leipzig öffentliche Konzerte veranstaltet. Weil sie lange Zeit in einem Saal des Gewandhauses, dem Handelsplatz der Woll- und Tuchhändler, stattfanden, heißen sie noch heute Gewandhauskonzerte. Aber der Name ist jünger als die Konzerte selbst. Ein Leipziger Konzertorchester bestand schon rund 50 Jahre lang, ehe es ins Gewandhaus übersiedelte. Die Geschichte des Gewandhausorchesters begann vor über zwei Jahrhunderten. Diese Tradition würde wenig bedeuten, wenn sie keine Höhepunkte einschlösse, an der sich Generation für Generation zu bewähren hatte. Eine große Vergangenheit ist eine beständige Mahnung, der einmal gesetzte hohe Maßstab weiterer Ansporn.
Die Persönlichkeit des Kapellmeisters prägt zum guten Teil den Charakter eines Orchesters. Die am Pult des Gewandhauses standen, waren tüchtige Musiker; einige aber waren Genies. Sie rissen das Orchester mit sich fort. Sie einzuholen und zu überholen war Aufgabe ihrer Nachfolger. Manche erfüllten sie, andere scheiterten daran, wobei nicht nur die unterschiedlichen Begabungen der Dirigenten, sondern oft auch die Gunst oder Ungunst der gesellschaftlichen Zeitumstände und nicht zuletzt die wechselnde Aufgeschlossenheit des Publikums fördernd oder hemmend eine Rolle spielten.
Das Orchester ist das Instrument des Dirigenten. Gutes Spiel braucht ein klangschönes Instrument. Zwar kann (und soll!) der Kapellmeister erziehen; doch seinem Ehrgeiz sind Grenzen gesetzt, wenn er das Vermögen der Musiker überfordert. Es ist Tradition im Gewandhausorchester, daß es immer höchste Ansprüche erfüllte, daß es, wenn es einen wahren Kapell-"Meister" an der Spitze hatte, dessen Erwartungen entsprach, ja, sie übertraf - daß es sich dann als ein Meisterinstrument erwies.
Die Kraft der Tradition wirkt in den Organismus dieses Orchesters. Es sieht darauf, daß das einmal Erreichte nicht wieder aufgegeben wird: daher die hohen Maßstäbe bei jedem Probespiel. Viele der Gewandhausmusiker waren und sind Lehrer. Die begabtesten ihrer Schüler sitzen später an ihren Pulten. Und aus den einstigen Schülern werden die Lehrer von morgen.

Bibliographisches Institut Leipzig, 1972
Mit 81 Abbildungen

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Wichtiger Hinweis

Seit dem 25. Mai 2018 gilt auch in Deutschland die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO).

Mit der Abgabe eines Kommentars erklärt Ihr euch einverstanden, dass personenbezogene Daten (z.B. IP-Adresse, Standort des Logins etc.) eventuell abgespeichert und für Statistiken von Google weiterverarbeitet werden.

Beim Absenden eines Kommentars für weitere Benachrichtigungen auf Folgekommentare erklärt ihr euch ebenfalls einverstanden, dass personenbezogene Daten (z.B. IP-Adresse, Standort des Logins etc.) abgespeichert werden.