26 Januar 2024

Ernest Claes: Pater Cellarius und andere Geschichten aus dem Kempenland

Buchanfang:
PATER CELLARIUS
Da ich nun die Absicht habe, von dir zu erzählen, seliger Pater Cellarius, fühle ich mich, offen gesagt, ein wenig verlegen. Denn einerseits weiß ich, daß die Leute von Everbeur, sowohl Bettes Tor als auch Warre Poft, sowohl Kail Potter als auch Jef Petekke, nicht verstehen würden, daß ich Bücher schreibe über Leute wie Hannes Raps, Wizze, Victalis und andere dieser Sorte und über einen Mann wie den seligen Pater Cellarius nichts zu erzählen wüßte. Und anderseits – ja, wir wollen die Dinge sagen, wie sie sind – ist es so: wir beide, Pater Cellarius, haben einander nie gut leiden mögen. Von allen Norbertinern unseres Klosters warst du der einzige, der mich allerlei falfcher Streiche und einer fcheinheiligen Kriecherei berdächtigt hat, der glaubte, ich würde dich beim hochwürdigen Herrn Prälaten verleumden, den Besuchern der Abtei allerlei unwahres Zeug über das Kloster weismachen und die Frauen im Waschhaus mit törichten Geschichten und schamlosen Liedern von der Arbeit abhalten. Du wußtest, daß Hannes Raps bei uns zu Hause auf dem Heuboden schlief, während wir den Gendarmen vorlogen, ihn absolut nicht zu kennen, daß Dick Vernelen mein leiblicher Vetter war, daß auch Wizze zu unserer Verwandtschaft von Mutters Seite angehörte, daß Victalis fast Abend für Abend bei uns am Herd hockte, und in deinen Augen konnte jemand mit einer solchen Verwandtschaft, mit solchen Beziehungen zu den Wilderern, die dir soviel Arger verursachten, nur ein völlig unzuverlässiger Taugenichts sein. Du hattest mich in Verdacht, jeden Tag bei Servaas in der Klosterbrauerei Bier zu trinken, und, während du weit weg außerhalb des Klosters umherliefst, den Gartenknechten Jesper, Suske Hut, Peer Mus, den man Herzkönig nannte, Scheper und Petekke zu sagen, sie könnten ruhig in die Brauerei gehen, um das letzte Gebräu von Servaas einmal zu »kosten«. Du haft mir vorgeworfen, daß ich die kaputte Harmonika von Pater Pius – (Dies obitus 1. 6. 1922. Anno aetat. 66) – in deinen Koffer gestopft hätte, mit dem du zur Primiz deines Neffen nach Meerhout gereist bist, daß ich die Seife in die Mütze von Dikke Torekens, dem Orgelbläser, geschmiert hätte, und ich sollte auch an dem Krüglein Schnaps von Kubber und an der jungen Katze in der zerplatzten Orgelpfeife, die tonlos geworden war, schuld sein. Und du warst dennoch nicht ganz gewiß, Pater Cellarius, ob ich das alles allein verbrochen hätte, du hast es nur vermutet, du hast vorwiegend mich jedes Unrechts verdächtigt, das in der Abtei verübt wurde, nur weil ich nach deiner Meinung mit soviel verdächtigen Wilderern verwandt war. Brauchte man sich da zu wundern, daß ich ein schiefes Gesicht zog und schwieg, wenn jemand »diesen guten Pater Cellarius« erwähnte? Sagen wir ruhig, wie es war, wir haben einander unser Lebtag geärgert. Nicht bösartig, nicht giftig, nicht verletzend, mit einem Lächeln sogar, aber dennoch geärgert. Du mit meiner schlechten Verwandtschaft und indem du mich fühlen ließet, daß ich im Kloster zuviel Anmaßung zeigte – was stimmte, und ich, indem ich dich im Gästezimmer in Gespräche über Guido Gezelle oder Goethe verwickeln wollte, während du nur über Butter oder Kartoffeln, über Landwirtschaft und Küche mitreden konntest. Wir haben uns gegenseitig beim Herrn Prälaten verklatscht, auch wieder mit einem Lächeln, aber immerhin verklatscht. Es ist wahr, Hochwürden hat das nie böse aufgenommen, weder von dir noch von mir, außer dem einen Mal, als du mich im Waschhaus bei dem Versuch erwischtest, Mieke Pauwels und Zeva von Onkel Viktor das Liedchen von »Tingelingeling den Eisendraht« beizubringen. Da mußte ich Hochwürden das ganze Verschen vorsingen, um festzustellen, ob es ein schlechtes Liedchen sei, das Zeva und Mieke auf sündige Gedanken bringen könnte. Hochwürden war nicht der Meinung, du wohl, weil du, wie du behauptest, die Frauensleute im Waschhaus besser kennen würdest als ich. Hochwürden hat mir nur geraten, künftig für die im Waschhaus das Lied »Zu Lourdes auf den Bergen« zu singen.
Nein, Pater Cellarius, wir beide wurden nicht einig.
Und dennoch – und dennoch ... Wie kam es nur, wenn ich später Hochwürden besuchte, während du, vor der Zeit verbraucht, meistens auf deinem Zimmer saßest, daß ich zu allererst fragte, wie es dir ginge? – Oder daß Bruder Viktor mir sagte, du hättest schon dreimal nach mir gefragt oder daß Bruder Laurentius (Dies obitus 19. 10. 1925. Anno aetat. 49) mir ins Ohr flüsterte: »Er ist in feinem Zimmer.« Wie kommt es nur, wenn ich so dasitze und mit ein wenig Wehmut im Herzen, weil das nun alles vorbei ist, über die schöne Zeit nachdenke, da wir in unserem alten Everbeur noch alle beisammen waren, ........

Inhalt:
Pater Cellarius ...... 5
Unser Onkel Hannes ...... 69
Pfarrer Munte ...... 91
Die Mutter und die drei Soldaten ...... 118
Die alten Leute unseres Dorfes ...... 157
Sarelewies Weihnachten ...... 189

Aus dem Flämischen übertragen von Peter Mertens
Illustrationen und Ausstattung von Ino und Paul Zimmermann

St.-Benno-Verlag GmbH Leipzig

1. Auflage 1956
2. Auflage 1957
 

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