31 Januar 2024

Komitee der Antifaschistischen Widerstandskämpfer der DDR (Hrsg.): Aktenvermerk R.u. – Ein Bericht über die Solidarität und den Widerstand im Konzentrationslager Mauthausen von 1938 bis 1945

Klappentext:
Das Konzentrationslager Mauthausen im besetzten Österreich wurde 1941 zum KZ der Lagerstufe III erklärt. Auf den Akten der hier eingelieferten Häftlinge stand: «R. u.», «Rückkehr unerwünscht», das hieß Vernichtung durch Zwangsarbeit oder durch direkten Mord. Doch schon seit 1938, dem Jahr der Errichtung dieses Lagers, war das die hier geübte Praxis. An die 122 000 Ermordete aus Deutschland und aus allen okkupierten Ländern Europas bezeugen, mit welchem Eifer die oben genannte Anordnung befolgt wurde. Aber auch inmitten des grauenhaften Alltags dieses Vernichtungslagers waren Solidarität und Widerstandswillen eine nicht zu beseitigende Realität. Die moralische Kraft der inhaftierten Antifaschisten, ihre kluge Taktik gegenüber den Wachmannschaften sowie ihr fester Zusammenhalt halfen, einigen tausend Gefangenen das Leben zu retten, und trugen dazu bei, gegen Kriegsende die Liquidierung eines großen Teils der Häftlinge zu verhindern.
Ehemalige Häftlinge des Konzentrationslagers Mauthausen geben mit diesem Bericht ein erschütterndes und eindringliches Zeitbild.

Buchanfang:
Vorwort
Man nennt sie wohl die «drei heiligen Affen» – der eine verstopft sich die Ohren, der zweite verdeckt seine Augen, der dritte verschließt sein Maul. Auch der Mensch kann sich so verhalten: taub, blind, stumm, gleichgültig gegenüber politischem Geschehen. Er muß aber dabei in Kauf nehmen, nicht sinnvoll an der Gegenwart und Zukunft seines Volkes mitzuwirken, sondern dem Spießbürger in Goethes «Faust» zu ähneln, der gemütlich beim Frühschoppen sitzt und ungerührt über Krieg und Kriegsgeschrei schwätzt, wenn «hinten, weit in der Türkei die Völker aufeinanderschlagen».
Es tut not, Geschichtsbewußtsein zu besitzen, vor allem wenn die Vergangenheit so verlief wie die unsrige – grausam, unmenschlich auf der einen, heldenmütig und Menschlichkeit verteidigend auf der anderen Seite. Aus einem solch tiefgreifenden Geschichtsabschnitt wie dem von 1933 bis 1945 mahnen die Toten uns Lebende, mahnt eine fast völlig vernichtete Generation die nach ihr Kommenden, wachsam zu sein für die Zukunft der Menschheit.
Vor uns liegt eine Schrift, die Geschichte dokumentiert, mit unwiderlegbaren Tatsachen. Erinnerungen von Menschen, die alle nur denkbaren Erniedrigungen und Schmerzen erdulden mußten. Sie hielten es aus, blieben standhaft, erwiesen sich auch angesichts des Todes stärker als ihre Feinde, weil sie etwas besaßen, was niemand ausrotten kann – Menschenwürde, hohe Moral, Wissen um den Sieg der Mutigen und Kühnen in dieser Welt.
Nur ein kleiner Zeitabschnitt unserer Vergangenheit wird hier ins Gedächtnis gerufen. Der Bericht vermittelt Erlebnisse aus dem faschistischen KZ Mauthausen, das seine Urheber selber treffend als Vernichtungslager eingestuft hatten. Ja, es war eine Vernichtungsanstalt mit allem, was dazu gehörte. Was für Erfinder! Welch abgrundtiefer Menschenhaß tobte sich hier aus! Welch wahnwitzige Politik offenbarte sich da! Eine Politik, die das Ziel verfolgte, alle Gegner umzubringen, ganze Völker auszulöschen, sich die Welt zu unterjochen und die Erde in ein Massengrab zu verwandeln.
Faschismus – eine Philosophie, eine Ideologie? Nein – oder höchstens geistiger Ausfluß einer Verbrecherbande. Faschismus war und ist die Staatsform der brutalsten Kreise des Finanzkapitals, das immerzu nach Weltherrschaft strebt. Und wer sich diesem System widersetzt, muß beseitigt werden – Welteroberungspläne aber scheitern unweigerlich an jener Macht, die mit dem wissenschaftlichen Sozialismus der Menschheit den Weg aus dem Dschungel der Ausbeutung und Unterdrückung in die Freiheit menschlichen Daseins bahnt und die seit dem Oktober 1917 ihren Siegeszug angetreten hat. Deswegen ist Faschismus vorrangig Antikommunismus, den Thomas Mann – dieser großartige Sänger des fortschrittlichen Bürgertums – bekanntlich als Grundtorheit unseres Jahrhunderts bezeichnete. Eine Tollheit, die unter dem Faschismus zur Staatsdoktrin erhoben und zur sogenannten Theorie des «Übermenschen» hochgestapelt wurde, um den Massenmördern das moralische Recht zum Verbrechen großen Stils zu verschaffen.
Das KZ Mauthausen wurde 1938 in einem Gebiet errichtet, in dem die deutsche Kriegsindustrie eines ihrer Zentren aufzubauen begann. Die Herren von Kohle und Stahl ließen hier mächtige Produktionsbasen aus dem Boden stampfen, Rüstungsbetriebe, erbaut von Häftlingen, die deshalb Gefangene waren, weil sie sich gegen den Raubkrieg wendeten. Die SS wußte schon, wie man Gegner des Faschismus zur Zwangsarbeit treibt, sie hatte für diesen Fall gründlich studiert, geprobt und praktiziert – von den Martern der antiken Sklaverei bis hin zu den Killermethoden der Neuzeit. Auf diesen Tätigkeitsfeldern waren sie «gebildete» Leute. Und wer steckte den Gewinn ein, den sie aus den Häftlingen herauspreßten? Das waren doch Superprofite! Man bedenke: Die Arbeitssklaven bekamen keinen Lohn, hatten keine Sozialversicherung, keine Gewerkschaften, keine Krankenfürsorge, und die Ernährung wurde auf ein Minimum reduziert, denn faschistische Experimente hatten längst bewiesen, daß ein Mensch mit wäßrigen Suppen aus verfaulten Kohlrüben und Kartoffelschalen auch bei allerschwerster Arbeit noch eine ganze Weile leistungsfähig bleibt. Kurz: Alle Rechte, die sich die Arbeiterklasse in langwierigen, opferreichen Kämpfen erfochten hatte, bereiteten nun den Aufsichtsräten der deutschen Rüstungskonzerne keinen Kummer mehr. Starb ein Häftling, gab es genügend Ersatz aus dem unerschöpflichen Reservoir des «Großdeutschen Reiches» und der okkupierten Länder. So leicht sind Profite noch nie erzielt worden. Die Herren glaubten auf ewig am Drücker zu sein, und das machte sie immer gieriger, immer tollwütiger, und sie schickten ihre «Wüstenfüchse», ihre großdeutschen Divisionen, ihre Panzerknacker-Generale und U-Boot-Haie los, schmückten ihre Raubritter mit Eichenlaub und Schwertern und goldenen Kreuzen, spornten ihre SS-Totenkopfverbände zur Jagd auf «Menschenmaterial» an, damit die Kasse stimmte.
Das Buch beleuchtet also eine historische Etappe, die nicht in Vergessenheit geraten darf, denn solange die Geschichte nicht ein für allemal durch die Expropriation der Expropriateure korrigiert wird, solange besteht Gefahr, daß Krieg und Faschismus erneut die Menschheit bedrohen.
Wenn wir auf diese Zeit zurückblicken, dann reiht sich vor unserem geistigen Auge Grab an Grab, dann verkrampft sich unser Herz bei den Gedanken an alle unsere Freunde, Kampfgefährten, Genossen, die nicht überlebten. Daß der Faschismus Millionen Menschen hinschlachtete, läßt uns noch heute vor Entsetzen erstarren. Der Kamerad, der mit uns litt, mit uns gegen die Barbarei kämpfte und von unserer Seite gerissen wurde, läßt uns trauern. Der tote Kamerad war vielleicht ein Christ oder ein bürgerlicher Demokrat oder ein Sozialist, er war Deutscher, Franzose, Italiener, Tscheche, Russe, Pole oder vielleicht Jugoslawe – auf jeden Fall ein Mitstreiter. Und ohne Unterschied trauern wir um alle, die ihr Leben lassen mußten. Unsere Erinnerungen gelten besonders dem standhaften Revolutionär, dem Kommunisten, der für viele Vorbild war, der den Verzweifelten aufrichtete, dem Mutlosen neuen Mut einflößte, der sein letztes Stück Brot hergab, um anderen zu helfen. Woher nahm der Kommunist die Kraft, daß er sich so selbstlos für andere aufopferte? Warum erzählte er von den Beschlüssen seiner Partei und erläuterte, daß und wie der illegale Kampf auch im faschistischen Konzentrationslager fortgesetzt werden müsse? Warum sprach er zu seinem Mithäftling vom Sieg der Roten Armee, als der faschistische Rundfunk den Vormarsch der Hitlertruppen bejubelte? Darum, weil er von allen Häftlingen der politisch bewußteste, disziplinierteste war. Erprobt, gestählt im illegalen Kampf, trug er auch im Lager seine Überzeugung weiter, bemüht, die Front der Hitlergegner zu stärken und zu festigen. Er verstand viel von konspirativer Arbeit und fand trotz strengster Bewachung Wege, außerhalb des Lagers Kontakte mit Antifaschisten herzustellen. Er hatte ein stark ausgeprägtes Gefühl für Solidarität, nicht aus bloßer Barmherzigkeit, sondern als Waffe im Klassenkampf. So war der Kommunist auch im KZ der von der SS gehaßteste; die Häftlinge aber schätzten ihn als zuverlässigen Kameraden. Könnte man doch alle Namen dieser Unbeugsamen aufrufen und alle Nationen, denen sie angehörten; hätten wir doch die Feder, um solch tapferen Menschen das Ruhmesblatt zu schreiben, das ihren Taten gebührt.
Möge diese Schrift sowohl durch ihre sachlichen Informationen über historische Vorgänge als auch durch die wahrheitsgetreue Schilderung der Grausamkeiten den Leser bewegen; vor allem jedoch sollte sie in ihm das Hohelied auf den proletarischen Internationalismus, das Hohelied auf die Widerstandskämpfer aller Nationen zum Klingen bringen.
Nicht ohne Zorn vernehmen wir heutigentags die Kunde von der «Hitler-Welle» in der BRD oder die schreckliche Nachricht aus einer Bundeswehr-Hochschule in Bayern, wo Offiziere «Judenvergasung» übten, oder die Meldungen über Hakenkreuz-Schmierereien auf Gräbern ermordeter Antifaschisten oder die skandalösen Berufsverbote für Demokraten, Sozialisten, Kommunisten und Angehörige ehemaliger Widerstandskämpfer. Und ewig das Gelaber, man solle doch endlich aufhören, von der Vergangenheit zu reden, man «beschmutze damit ja das eigne Nest». Wie verlogen, im gleichen Atemzug von Demokratie, Freiheit und Menschlichkeit zu sprechen! Dort drüben geht es also noch immer darum, das Volk zu übertölpeln, unmündig zu halten – nach dem Muster der «drei heiligen Affen»: Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen. Der Mensch aber ist kein Affe, sondern ein vernunftbegabtes Wesen, er braucht scharfe Augen und ein feines Gehör, um zu erkennen, was ringsum passiert; er braucht seine Stimme, um ein Verbrechen beim Namen zu nennen und die Melodie der Zukunft zu singen. Er benötigt überhaupt wachen Verstand, wenn ihm das Schicksal seines Volkes nicht gleichgültig ist und er Mitgestalter einer menschenfreundlichen, friedliebenden Gesellschaftsordnung sein will.
Horst Sindermann
ehemaliger Häftling im KZ Mauthausen


Schutzumschlag und Einband: Wolfgang Ritter
Kartenzeichnungen: Wilhelm Kaufmann

Militärverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin

1. Auflage 1979 [1.-12. Tsd.]
2. überarb. Auflage 1981 [13.-22. Tsd.]
3. Auflage 1989

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