30 Januar 2024

Rolf Hochhuth: Jede Zeit baut Pyramiden – Erzählungen und Gedichte

Unerhörte Begebenheiten, die für Rolf Hochhuth die Wirklichkeit immer bereithält, organisieren seine Erzählungen. Berühmt wurde die Geschichte jenes Mädchens, das in einer Bombennacht die Leiche ihres hingerichteten Bruders heimlich bestattet. Wie durch diese Berliner Antigone geht der Riß der Zeit durch die meisten Figuren Hochhuths.
Angesichts der zahllosen Opfer von Krieg und Völkerverbrechen könne man unsere Epoche die der Flüchtlinge nennen. Doch Rolf Hochhuth fällt sich selbst ins Wort: »Natürlich wird man das nicht tun: man wird sie das Atomzeitalter nennen, weil das Technische leider größeren Eindruck macht als das Menschliche ...« Trotzdem weiß Rolf Hochhuth, daß zum Menschen der Erfindungsgeist gehört. Dessen Früchte müssen allerdings die menschliche Existenz sichern helfen. Als beispielhaft dafür stellt Hochhuth den englischen Mathematiker Alan Turing dar, wobei er – wie immer – gründlich recherchierte, zugleich aber die historische Figur benutzt, um sein Bild des Menschen in der Geschichte zu zeichnen. Die von Turing begründete Theorie des Computers erleichterte die Entschlüsselung der Wehrmachtsbefehle, nachdem Polen die Bedeutung der deutschen Codiermaschine erkannt und einige Apparate erbeutet hatte. Freilich konnten diese Leistungen erst durch die Soldaten der Antihitlerkoalition zur kriegsentscheidenden materiellen Gewalt werden. Der Mann, Alan Turing, dem Hochhuth eine Bedeutung zumißt wie sonst unter den Briten nur noch Churchill, mußte in den Schatten der Geschichte zurücktreten.
das Flüchtigste: der Mensch – diese Überschrift eines Gedichtzyklus im vorliegenden Band bedeutet für Rolf Hochhuth zugleich Erfahrung und Warnung. Gerade mit Gedichten, seiner Art, Tagebuch zu schreiben, spürt er die Momente der Flüchtigkeit auf, die im Leben jedes einzelnen, Liebe und Tod vor allem, und solche in der Menschheitsgeschichte. Das Meer mit seiner grandiosen Monotonie, in der Welle auf Welle folgt, wird zum Gleichnis, und das Meer zu pflügen, wie der Revolutionär Simon Bolivar sagte, versteht Rolf Hochhuth als die Aufgabe des Menschen: das Notwendige stets von neuem zu versuchen, im Flüchtigen das Dauernde zu finden.

Einbandentwurf: Gerhard Medoch

Verlag Volk und Welt, Berlin

1. Auflage 1988  

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