29 Januar 2024

Rolf Hochhuth: Judith

Gleich mancher anderen mythischen Gestalt wurde Judith viel bewundert und viel gescholten, oft bedichtet und gemalt. Wie kaum eine andere ist sie eine Gestalt der Not und Verzweiflung, ging sie doch hin, die schöne junge Witwe aus Bethulia, um ihre Stadt vor der Aushungerung und Eroberung durch das Heer des Nebukadnezar zu retten.
Eine Gestalt der Not und Verzweiflung, Inbegriff des persönlichen Muts und der Opferbereitschaft ist Judith auch im vorliegenden Trauerspiel. Freilich hat sich Rolf Hochhuth, soviel Sympathie er überlieferten Modellen menschlicher Verhaltensweisen entgegenbringt, niemals in mythischen Fernen verloren. Sein Thema sind die Nöte und Notwendigkeiten unserer Zeit, seiner Gesellschaft. Rolf Hochhuth weiß und hat es nicht zuletzt in seinem Ringen mit tragischen Situationen jüngstvergangener Geschichte erfahren, daß heute nichts wichtiger ist als die Erhaltung des Friedens, und deshalb verbündet er sich mit der legendären jüdischen Täterin. Aus diesem Wissen die äußerste persönliche Konsequenz zu ziehen macht sein Selbstverständnis als politischer Schriftsteller aus.
In zweifacher Gestalt betritt Hochhuths Judith die Szene, zunächst im Minsk des Jahres 1943, als es darum geht, den faschistischen Gebietskommissar in die Luft zu sprengen. Von dieser Tat wird die Judith im heutigen Washington inspiriert, über ein Attentat auf den Präsidenten der USA nachzudenken, weil durch das Schwert umkommen soll, wer das Schwert nimmt. Judith weiß beide Male, in Minsk wie in Washington, daß eine solche Tat kaum die reale politische Situation verändern kann wie in biblischer Zeit, als Judith mit dem Kopf des Feldherrn Holofernes nach Hause kam. Aber Zeichen, so Hochhuths Judith, mußten und müssen gesetzt werden: 1943 für den ungebrochenen Kampfwillen des sowjetischen Volkes, in unseren Tagen gegen die vom US-Imperialismus forcierte und vom US-Präsidenten verantwortete Hochrüstung.
Rolf Hochhuth mutet sich selbst, seinen Lesern und Zuschauern das Äußerste zu: nachzudenken über die Berechtigung, einzelne zu töten um des Überlebens der Menschheit willen. Aber dieses Nachdenken wird sinnvoll, weil es weit über moralische Fragen hinaus verbrecherische, menschenfeindliche Politik entlarvt. Obwohl Hochhuths Judith zu Attentaten geht wie ihre mythische Schwester, bleibt sie doch zuletzt eine literarische Gestalt, die die Überlebensfrage unserer Zeit so voller Not und Verzweiflung stellt, weil sie anders von Rolf Hochhuth nicht mehr gestellt werden kann.

Inhalt:
Präambel ….. 5
Judith ….. 11
    Prolog: Minsk 1943 ….. 15
    Erster Akt: Washington, D. C. ….. 49
    Zweiter Akt: Unter den Blutbuchen ….. 101
    Dritter Akt: Kontaktgift oder Nervengas ….. 133
    Vierter Akt: Wer zum Schwert greift ….. 179
1984 - wie 1914? Wettrüsten führte zum ersten der Weltkriege ….. 197

Einbandentwurf: Gerhard Medoch

Verlag Volk und Welt, Berlin

1. Auflage 1985

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