Buchanfang:
„Guten Tag.“
„Guten Tag, ihr zwei Iljas“, erwiderte Großvater Matwejuschka.
„Wieder auf dem Weg zur Braunen Halde? Was treibt ihr dort eigentlich?“ rief Taiskas Mutter aus dem Fenster. „Kommt herein, trinkt einen Schluck kalten Kwaß.“
„Ach nein, schönen Dank. Wir wollten nur mal im Vorübergehen...“
So war das jeden Tag. Nie hatten sie Zeit. Jetzt legte der riesige Großvater Ilja die schweren, knochigen Hände auf die Zaunlatten, seine grauen Haarlocken hingen ihm in die gebräunte Stirn. Neben ihm stand tatenlustig der Flachskopf Iljuscha. Sein verbranntes Gesicht leuchtete wie eine Eichel im Wald.
„Hat Platow der Zweite geschrieben?“ fragte Großvater Matwejuschka.
Auch Taiska hätte gern etwas über Platow den Zweiten gehört.
Wie ganz Staraja Usa weiß, gibt es drei Platows – Großmutter Tanja nicht mitgerechnet –, und alle drei heißen Ilja. Großvater Ilja ist Platow der Erste, Iljuschas Vater Platow der Zweite, und Iljuscha wird später einmal Platow der Dritte sein. Iljuschas Vater ist Ingenieur. Fern im Osten baut er eine Stadt. Taiska erinnert sich nicht an ihn, und auch Iljuscha kennt ihn wahrscheinlich nur von dem Foto, das über Großmutters Kommode hängt. Schon vier Jahre war Platow der Zweite nicht auf Urlaub.
Als Iljuschas Mutter starb, konnte Platow der Zweite das leere Haus nicht mehr sehen.
„Ich fahre weg“, hatte er damals zu Großvater Ilja gesagt.
Iljuscha war noch ganz klein. Er konnte nicht sagen: Bleibe bei uns, Vater. So hatten sich fortan Großvater und Großmutter um den kleinen Iljuscha gekümmert.
„Ja, wir haben einen Brief bekommen“, berichtete nun Großvater Ilja. „Wie er schreibt, sind sie mit ihrer Stadt in der Taiga fertig. Wo sich früher die Bären gute Nacht sagten, stehen jetzt fünfstöckige Häuser. Er verspricht, bald auf Urlaub zu kommen ...“
Großvater Matwejuschka freute sich und streichelte die Blätter einer jungen Eiche. Sie kuschelte sich zutraulich wie ein Zicklein in die Hand.
Als die beiden Platows weitergegangen waren, blickte Taiska traurig der kleinen Staubwolke nach.
„Sie haben viel zu tun“, tröstete Großvater Matwejuschka die Enkelin. „Schau doch mal, was da für ein grünes Baby angekommen ist.“ Er beugte sich zu der kleinen Eiche hinab.
Das Bäumchen streckte seine sehnigen Wurzeln ins Erdreich und schien zu bitten: Biegt mich nicht um!
Taiska aber kümmerte sich nicht um die kleine Eiche. Die beiden Iljas waren weitergegangen und hatten nicht gefragt, ob sie mitkommen wollte!
Laß sie doch! Taiska schüttelte die Zöpfe. Unter ihren Wimpern kullerten Tränen hervor.
Ihr denkt wohl, sie weinte? Aber nein! An diesem Tage war es windig. Auf der Sandbank sprühte der Fluß Funken. Und über die Brücke kam ein Lastauto gefahren; seine Scheiben blitzten.
An den Himmel malte ein Flugzeug weiße, leuchtende Straßen. Das war ein Glänzen und Funkeln ringsum, da konnten jedem mal die Augen tränen.
Taiska rieb ihre Wangen mit den Händen trocken und blickte sich um. Niemand hatte etwas bemerkt.
„Taiska, greif doch zu!“
Das war Mutter. Sie trug einen Korb Wäsche auf den Schultern. Durch die Ruten sickerten Wassertropfen, liefen über Mutters nackten Hals.
„Hol mir einen Schemel, schnell!“
Taiska rannte ins Haus. Im Küchenschrank klirrte das Geschirr, Großvaters Messingtrompete an der Wand summte. Wenn Feiertag ist, bläst Großvater darauf im Orchester. Aber was fiel der Trompete ein, heute zu spielen?
Wie sich zeigte, war es jedoch nicht die Trompete, die da summte, sondern eine Hummel. Aus dem hellen Tageslicht war sie ins Zimmer geflogen und blindlings auf die Trompete gestoßen, ausgerechnet gegen das blank geputzte Messingrohr. Ach, du fette Hummel, fort mit dir, zum Fenster hinaus!
Taiska brachte einen Schemel. Mutter und Tochter hängten die Wäsche auf und setzten Stützen unter die Leine. Schon flatterten Großvaters Matrosenhemden hoch oben in der Luft wie gestreifte Fahnen. Der Wind blähte die nassen Laken, als wären es Segel.
Inhalt:
Darf ich vorstellen – Taiska .......... 5
Die neue Stadt .......... 15
Das Wichtigste .......... 18
Der Nagel .......... 21
Der Lautsprecher auf dem Platz .......... 26
Großmutter .......... 32
Der Pflock .......... 37
Licht im Stübchen .......... 44
Die sind keinen Pfifferling wert .......... 50
Ein Meister mit goldenen Händen .......... 62
Rauch auf einer Waldwiese .......... 70
Platow der Zweite ist da! .......... 83
Das Hufeisen .......... 86
Haufenwolken .......... 98
Der Enkel .......... 109
Großvater .......... 122
Was mag das sein? .......... 135
Die Straße .......... 144
Einer für alle, alle für einen .......... 152
Guten Morgen! .......... 163
Illustrationen von Gerhard Lahr
Übersetzung aus dem Russischen von Günter Löffler
Für Leser von 8 Jahren an
Der Kinderbuchverlag, Berlin
1. Auflage 1965
2. Auflage 1966
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