18 Oktober 2024

Howard Fast: In Freiheit gezeugt – Ein Roman von Valley Forge

Buchanfang:
Inschrift auf dem Gedenkbogen in Valley Forge

UND HIER
AN DIESER STÄTTE
DES OPFERS
IN DIESEM TAL DER ERNIEDRIGUNG
IN DIESEM TAL DES SCHATTENS
JENES TODES AUS DEM
WIEDERGEBOREN UND FREI
DAS LEBEN AMERIKAS ERSTAND
LASST UNS GLAUBEN
IN BEHARRLICHER TREUE
DASS IHNEN
DIE EINHEIT SO KOSTBAR
DIE FREIHEIT SO SÜSS
DER FORTSCHRITT SO HERRLICH ERSCHEINEN
WIE UNSEREN VÄTERN UND DIR UND MIR
UND DASS DIE ERRUNGENSCHAFTEN
DIE UNS GLÜCKLICH GEMACHT
ERHALTEN BLEIBEN
VERMÖGE DER KRAFT UNSERER KINDER
UND DEN FERNSTEN GESCHLECHTERN
DER KOMMENDEN ZEITEN
ZUM SEGEN GEREICHEN

                      HENRY ARMITT BROWN

ERSTES KAPITEL
Wir halten an, und von vorn wird der Befehl durchgesagt, Biwak zu machen. Es ist früh, es bleibt uns eine gute Stunde Tageslicht. Wir sind gewohnt, zu marschieren, bis das Licht schwindet, in der Dunkelheit in ein Lager zu taumeln, aufzuwachen, bevor es hell wird, und weiterzumarschieren.
Von der Spitze unserer Kolonne tönt schwach das Hornsignal zum Ablegen. Jacob Eagen wirft sein Gepäck ab. Charley Green setzt sich an den Straßenrand. Sein bärtiges rundes Gnomengesicht versucht ein Lächeln. Der kleine Leib ist ein durchlöchertes Gefäß voller Überdruß. Ich sehe die Kolonne hinauf und hinunter. Zum Abend ist der Zug vier, fünf, vielleicht sechs Meilen lang.
Ich krieche aus meinem Gepäck und sage: „Herr Jesus, bin ich müde!"
Die ganze Straße hinauf und hinunter lassen sich Männer auf die Erde fallen. Ihre Musketen poltern auf den gefrorenen Boden. Das ist der erste Gedanke: Die Muskete wegtun. Sie wiegt zwanzig Pfund. Zwanzig Pfund Hölle und ein rostiges Bajonett.
„Warum halten wir?" fragt Jacob, ohne sich an jemand zu wenden. Er allein ist nicht erschöpft. Steif und finster steht er da, die dunklen Augen blicken fragend. Er sucht in allen Gesichtern, er möchte wissen, warum es nicht weitergeht. Er ist ein großer, hagerer Mann mit Vollbart; das lange Haar fällt ihm lose auf die Schultern, die scharfe Hakennase springt hart aus dem Gesicht. Die Lippen sind ein dünner Strich, fast verborgen hinter dem Haar in seinem Gesicht. Er könnte ebensogut gar keine Lippen haben, und wenn er den Mund zum Sprechen öffnet, sehe ich seine tabakfleckigen, unregelmäßigen Zähne. Etwas Wildes, Tierhaftes haben sein Mund und seine Zähne an sich, seine scharfen, weitstehenden gelben Hauer.
„Ist doch egal; Hauptsache, wir rasten!"
„Dies ist kein Ort zum Rasten. Man braucht kein General zu sein, um das zu sehen; an so einem Ort rastet man nicht." Er schwenkt seinen mageren Arm, um unsere offene, ungeschützte Stellung zu kennzeichnen.
Wir sind auf einer großen flachen Ebene, im Norden wölben sich Berge empor. Die Berge bedeuten Schutz. Wir stellen uns vor, was aus einer sechs Meilen langen Kolonne werden muß, wenn sie in solch offenem Gelände überfallen wird. Aber es wird nicht viel darüber nachgedacht, den meisten ist es gleichgültig.
Ich setzte mich an den Straßenrand, seufzte, streckte die Beine und überlegte, wie lange ich so ruhen könnte, ohne daß mir die Füße erfrören. Es war ein kalter Tag; eine halbe Stunde, dann würden mir die Füße erfrieren.
Neben mir und um mich herum saßen meine Regimentskameraden. Acht Mann waren es, außer mir; wir waren das Regiment. Offiziere hatten wir nicht. Für neun Mann braucht man keine Offiziere. Wir hatten einen Fetzen Fahne, bis ihn sich Ely Jackson um die Füße wickelte. Wir waren das New-Yorker Vierte Regiment. Wir waren einmal dreihundert Mann gewesen, unter Major Anton aus White Plains; er fiel bei White Plains, in der Nähe seines eigenen Hauses. Eeden Sage war Hauptmann gewesen. Tot. Leutnant Ferrel starb an der Ruhr. An diesem Tag, einem Dezembertag des Jahres 1777, hatten wir also keine Offiziere. Ich weiß nicht, welcher Tag es war. Wenn man sich zurückzieht, vermischen sich die Tage miteinander. Vielleicht war es der dreizehnte Dezember oder der vierzehnte. Freitag, der dreizehnte wahrscheinlich, ein besonders schwarzer Unglückstag. Charley Green kannte ein Lied über Freitag den dreizehnten, über tanzende Hexen auf dem Gemeindeanger von Boston...
Die Armee floß von der Straße auf die Äcker, ein Biwak ohne Ordnung. Ich erinnere mich, daß ein Haus dort stand, ein steinernes Gebäude vor dem Rande eines Waldes. Die Fenster waren mit Läden verschlossen, kein Licht, kein Rauch. Wir waren in einem Lande, das die Rebellen haßte.
Von der Straße, die ein Hohlweg war, kletterten wir zu einer flachen Wiese hinauf. Ely Jackson blieb zurück, um sich die Füße zu verbinden; sie bluteten ständig. Ein munterer Offizier vom Stabe ritt daher, ein Knabe in blauer Uniform. Jacob Eagen hielt ihn an.
„Sprich, Sohn", fragte Jacob, „hier sollen wir Lager machen?"
Jacob Eagen – bärtig, schmutzig, Eiszapfen um den Mund – war kein angenehmer Anblick. Wir andern auch nicht. Der Junge ließ die Zügel locker.
„Morgen werden wir Lager beziehen. Wir geben den Soldaten Rast."
„Das ist verdammt reizend von dir und dem General", sagte Jacob bitter.
Der Junge sprengte davon, und Jacob lachte. Offiziere haßte Jacob. Keiner von uns liebte sie, weiß Gott, aber Jacobs Haß war eine Art Besessenheit. Ihm war die Revolution etwas anderes als den übrigen von uns; wir fühlten sie als Hunger und Kälte, er als etwas Lebendiges, Brennendes, etwas aus dem Volke Geborenes. Von den Offizieren behauptete er: Wenn sie für die Revolution sind, gehören sie zu uns. Es ist ein Krieg von Menschen für die Menschen.

Inhalt:
Inschrift auf dem Gedenkbogen in Valley Forge .......... 7
ERSTER TEIL Das Tal .......... 9
ZWEITER TEIL Der Winter .......... 67
DRITTER TEIL Die Schlacht. .......... 211

Amerikanischer Originaltitel: Conceived in Liberty, A Novel of Valley Forge

Dietz Verlag, Berlin
1. Auflage 1953

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