10 Oktober 2024

Tadeusz Breza: Das Bronzetor – Römische Notizen

Klappentext:
Jenseits des Tiber, hinter dem Bronzetor, liegt der Vatikan. In seinen „Römischen Notizen“, Tagebuchaufzeichnungen aus den Jahren 1956 bis 1958, analysiert Tadeusz Breza jene rätselhafte, scheinbar allgewaltige politische Macht und ihren Einfluß auf das gesellschaftliche Leben Italiens. In Betrachtungen, in geschliffenen essayistischen Diskursen und in Gesprächen mit Persönlichkeiten der Kurie zeichnet er ein detailliertes Bild von Gegenwart und Vergangenheit der Struktur und Praxis dieser klerikalen Welt. Veroneses Kampf mit dem Inquisitionsgericht um sein „Letztes Abendmahl“ wirft ein bezeichnendes Licht auf die seit Jahrhunderten vom Klerus geübte rückschrittliche Kulturpolitik. Immer wieder geht es der Kirche darum, aus ungewöhnlichen Ereignissen politisches Kapital zu schlagen. Selbst die Krankheit des Schriftstellers Malaparte wird dazu benutzt, um an dem „Antichristen“ das Wunder der Bekehrung zu vollziehen. Mit kritischem Blick „für die inoffiziellen Motive der offiziellen Geschichte“ durchdringt Tadeusz Breza die exakt funktionierende, konservative Welt hinter dem Bronzetor.

Tadeusz Breza, am 31. Dezember 1905 geboren, gehört zur mittleren Schriftstellergeneration Polens, deren erstes Schaffen in die Vorkriegszeit fiel, die jedoch mit ihren entscheidenden Werken nach der Befreiung hervortrat. Sein erster Roman erschien 1936, das nächste größere Werk, eine Romantrilogie, bestehend aus „Die Mauern von Jericho“ und „Himmel und Erde“ (2 Bände), folgte 1946 bis 1950. 1952 veröffentlichte Breza den auch bei uns übersetzten Roman „Balthasars Festmahl“ und erhielt den Staatspreis für Literatur. Mit dem während seines Italienaufenthaltes – er war von 1955 bis 1958 Kulturattaché an der polnischen Botschaft in Rom entstandenen Roman. „Audienz in Rom“ und den „Römischen Notizen“ wurde Tadeusz Breza einer der profiliertesten Schriftsteller Volkspolens.

Buchanfang:
Vorbemerkung
Von 1955 bis 1958 war ich als Kulturattaché der polnischen Botschaft in Rom tätig. Das erste Jahr brachte ich damit zu, mich an das Land, die Sprache, das Klima und die Büroarbeit zu gewöhnen. Dann aber wurde in mir die Sehnsucht nach dem Schreiben wieder wach. In den fünfundzwanzig Jahren, in denen ich dieses Handwerk ausübte, hatten sich bei mir starke Gewohnheiten herausgebildet. Sie waren durch die von Grund auf veränderten Lebensumstände verstummt, nun aber meldeten sie sich vernehmlich zu Wort und forderten ihr Recht. Die Tätigkeit bei der Botschaft war nicht aufreibend, doch man war den ganzen Tag über beschäftigt, auch außerhalb der Dienststunden, und so war an Schreiben, zu dem ja Konzentration gehört, nicht zu denken. Übrig blieben nur die Sonntage, die Feiertage und der Urlaub. Diese Zeit verwendete ich für das Buch.
Am liebsten schreibe ich Romane. Wer Romane geschrieben hat, der weiß, daß sie zeitlich so unregelmäßig, so sporadisch schwerlich entstehen können. Die Arbeit an einem Roman erfordert strenge Kontinuität, die in meinem Fall unmöglich war. Daher entschloß ich mich fürs erste, Material zu sammeln. Einen bestimmten Vorsatz oder thematischen Plan hatte ich nicht, so machte ich mir vorerst allgemeine Notizen. Hatte ich von der Bestimmung des Materials keine feste Vorstellung, so wurde ich mir bald darüber klar, welche Art Material von vornherein wegfiel. Italien wird alljährlich von fünfzehn Millionen Touristen bereist, und da sich die Literaten bekanntlich gern in der Welt tummeln, liegt die Vermutung nahe, daß sie unter den Touristen einen beträchtlichen Prozentsatz ausmachen. Die bloße Vermutung ist an sich ein unsicherer Faktor, daher füge ich hinzu, daß ich in italienischen Buchhandlungen, vor allem in den unzähligen fremdsprachigen Roms, alljährlich Hunderte Bücher über Italienreisen gefunden habe. Ich sagte mir also: Wenn über das sonnige Italien, seine Schönheit, seine Kunstdenkmäler, seine Kunst und seine Menschen schon so viel geschrieben worden ist und zweifellos noch geschrieben wird, so kann diese Quantität jeden Augenblick in Qualität umschlagen, ja angesichts der ungeheuren Menge vielleicht sogar in hervorragende Qualität; weshalb soll ich also das gleiche wiederholen, und womöglich nur schlechter?
Es ist auch so, daß man bei kurzem Aufenthalt in einem fremden Land am liebsten alles beschriebe; ein längerer Aufenthalt hingegen spezialisiert und schärft gewissermaßen den Blick und das Interesse für das Besondere. Eines Tages wurde ich dessen inne, daß auch ich in diesem Lande meine Spezialität gefunden habe. Wieso ich ausgerechnet auf dieses Spezialgebiet gekommen bin, darüber habe ich oft nachgedacht. Es ist jedenfalls keine bewußte Entscheidung gewesen. Allerdings zog ich von Anfang an Einzelheiten aus meinem späteren Spezialbereich den anderen vor, notierte sie mit immer größerem Vergnügen und ließ schließlich jede andere Thematik links liegen. Aber das geschah nicht mit Vorbedacht. Wie kam es also dazu? Unzweifelhaft spielten bei dieser Entscheidung meine Empfänglichkeit für das Thema und meine Neugier eine erhebliche Rolle, desgleichen der Umstand, daß sich für dieses Gebiet kaum einer der literarischen Touristen interessierte. Es war nahezu frei, unberührt, überwältigend.
Das zog mich als Schriftsteller an. Aber nicht nur das. Italien, dieses wahrhaft gelobte Land für Touristen, hat noch so manche von ihnen unberührte Thematik; die von mir aufgegriffene aber hatte einen zusätzlichen Reiz, der für mich den Ausschlag gab. Mir wurde nämlich im Laufe meines Italienaufenthaltes allmählich klar, daß das Gebiet, über das ich schrieb, das entscheidende war. Die erwähnte Spezialität begann sich in meinen Augen dermaßen auszuweiten, daß ich anzunehmen geneigt war, sie werfe ihren Schatten auf alles. Ein Autor pflegt sich mit seinem Thema anzufreunden. Oft kommt es vor, daß er es verabsolutiert. Was meinen Fall betrifft, so steht mir nicht an, darüber zu urteilen, ob hier nicht etwas Ähnliches eingetreten ist. Zu meiner Verteidigung sei jedoch angeführt, daß meine Art, die Dinge zu werten, keine Ausnahme darstellt. Ich bin vielen Leuten begegnet, Italienern und Nichtitalienern, die auch meinten, daß all das, was „jenseits des Flusses“ gesagt, gedacht und beschlossen wird, für Italien entscheidend sei.
Al di là del fiume! Fiume – das heißt der Fluß, der Tiber. Und jenseits des Tiber liegt bekanntlich der Vatikan. Seine Büros sind über ganz Rom verstreut. Einige vatikanische Ministerien, Heilige Kongregationen genannt, befinden sich in den Palästen am linken Tiberufer, weit von der Zentrale entfernt. Ebenfalls die Büros des Römischen Vikariats, das heißt der Kurie des Papstes, der ja auch Bischof von Rom ist; desgleichen alle großen Tribunale des Vatikans. Dennoch wird über die Urteile oder die Entscheidungen dieser Tribunale oder Behörden gesagt, sie seien hinter dem Fluß gefallen. Es heißt: hinter dem Fluß hat man beschlossen, hinter dem Fluß wird dies oder jenes nicht gewünscht, hinter dem Fluß hat man sich darüber bisher nicht geäußert. Es gibt übrigens noch andere Umschreibungen. So heißt es beispielsweise analog dazu auch: hinter dem Bronzetor. Gemeint ist eins der Portale, das Paradetor, der Haupteingang zu den vatikanischen Palästen. Daher „Das Bronzetor“ als Titel meines Buches.
Während ich mein Material zusammentrug, wurde ich gewahr, daß ich nie über Religion schrieb. Das klingt sonderbar, wenn man sich das von mir gewählte Gebiet vor Augen hält. Es liegt aber daran, daß dieses Gebiet wie eine Medaille zwei Seiten hat. Eine mystische Seite, die, wie es scheint, allen Religionen gemein ist. Sie spielt sich im Innern des Menschen ab, und wenn sie sich kollektiv kundtut, so stets unter dem Signum inneren Erlebens. Die andere Seite der Medaille ist absolut unmystisch. Sie ist konkret, irdisch, greifbar, der ersten Seite aufgesetzt. Mich interessiert nur dieser Überbau. Er ist kolossal. Viele Gegner der Kirche sehen in der Kirche nur ihn. Das ist ein Fehler, aber die Schuld liegt nicht bei ihnen, sondern bei denen, die den Be- langen jenes Überbaus alles andere unterordnen möchten.
Mein Material wird durch den Grundgedanken, der mir beim Sammeln vorschwebte, zusammengehalten. Äußerlich ist es sehr mannigfaltig: Gespräche, Begegnungen, Geschichten, Ereignisse, zumeist in Form von Abhandlungen oder Essays aufgezeichnet. Als ich die Notizen begann, dachte ich, sie könnten mir als Romanstoff dienen, aber ich ließ diesen Gedanken bald fallen. Viele Vorkommnisse habe ich unmittelbar festgehalten, dennoch sind sie kein Rohstoff mehr. In dem Buch findet der Leser eine Anzahl von Informationen und eine Anzahl von Urteilen. Ich möchte jedoch bemerken, daß es mir vor allem darauf ankommt, Beobachtungen und Überlegungen mitzuteilen, die – nach Maßgabe meiner Unbefangenheit – durch keinerlei im voraus fest- gelegte Gesichtspunkte oder Thesen getrübt sein sollen.
Die geschilderten Ereignisse, Gespräche und Begegnungen sind natürlich echt. Führe ich Namen der Gesprächspartner an, so sind sie grundsätzlich authentisch. Wenn ich aber weiß, daß ich einen Namen nicht nennen kann, dann ersetze ich ihn meist durch einen beliebigen Buchstaben. Zuweilen benutze ich auch fiktive Namen und Vornamen, weil der Umgang mit Personen, die in längeren Partien auftreten und nur mit dem Anfangsbuchstaben fixiert sind, den Leser zu sehr anstrengen würde. Die Aufzeichnungen sind jeweils mit dem Datum des Tages versehen, an dem sie entstanden sind. Manchmal habe ich an einer mehrere freie Tage hindurch geschrieben. Das Datum bedeutet dann den Beginn der Niederschrift.

Originaltitel: Tadeusz Breza Spiżowa brama
Aus dem Polnischen übersetzt von Henryk Bereska
Einband und Schutzumschlag Heinz Hellmis

Aufbau-Verlag Berlin und Weimar
1. Auflage 1965
2. Auflage 1967
3. Auflage 1976

im gleichen Verlag
in der Reihe:
Edition unsere Welt
1. Auflage 1988

Auch erschienen im
Buchclub 65
1. Auflage 1976

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