12 Januar 2025

Johann Friedrich Reichardt: Vertraute Briefe aus Paris 1792

Klappentext:
Der Komponist und Publizist Johann Friedrich Reichardt führte ein bewegtes Leben: 1752 in Königsberg geboren, präsentierte ihn sein Vater früh als musikalisches Wunderkind; als Sechzehnjähriger bezog er auf Vorschlag von Immanuel Kant die Königsberger Universität, wurde von Friedrich II. zum preußischen Hofkapellmeister ernannt, wegen seiner Sympathien für die Französische Revolution von dessen Nachfolger fristlos entlassen und ging als Salinendirektor nach Halle, wo er unter der Herrschaft Napoleons einen Kreis von Patrioten um sich scharte.
In seinen «Vertrauten Briefen aus Paris» berichtet Reichardt von einer Reise im Jahr 1792 in das von der Revolution erschütterte Nachbarland; dabei ist ihm das Gespräch in der Postkutsche und im Wirtshaus ebenso wichtig wie die erregte Debatte in der Nationalversammlung oder das Gespräch mit Künstlern und Gelehrten. Reichardt erkennt, daß die Revolution unvermeidlich war, provoziert durch den maßlosen Egoismus des Adels und die Doppelzüngigkeit des Hofes, und er sagt voraus, daß die Macht bei der bevorstehenden endgültigen Auseinandersetzung zwischen König und Volk auf die Jakobiner übergehen werde. Zehn Jahre später wird er erneut nach Frankreich kommen und unter dem Konsulat die Herrschaft der Bourgeoisie erleben, die im einstigen Revolutionsgeneral Napoleon Bonaparte ihren «starken Mann» gefunden hat.

Buchanfang:
Einleitung
Johann Friedrich Reichardt, Zeitgenosse Goethes und Schillers, Mozarts und Beethovens, Steins und Hardenbergs, ist heute nur noch Kennern der Musikgeschichte und Freunden der deutschen Liedkultur bekannt. Der Kapellmeister und Komponist, der Geiger und Klaviervirtuose, der Sänger und Schriftsteller gehörte zu Lebzeiten zu denen, deren Namen unter den Gebildeten Deutschlands Ansehen und Klang hatten. Er selbst hatte den Ehrgeiz, mit allen hervorragenden Menschen, mit den Berühmtheiten auf dem Gebiete der Kunst, der Literatur und Politik, Bekanntschaft zu schließen und freundschaftlichen Umgang zu pflegen. Sein Salon in Berlin, sein Haus und Garten in Giebichenstein bei Halle waren Treffpunkte bedeutender Menschen, zogen Dichter und Schriftsteller, Gelehrte und Musiker an und galten als gesuchte Stätten geistiger Geselligkeit.
Reichardt verstand es, Vertrauen zu gewinnen. Ohne ein Lebemann zu sein, war er ein Freund unbeschwerten Wohllebens, immer von Frohsinn und Unternehmungslust erfüllt, männlich schön, weltmännisch gewandt, weitgereist, ein blendender Erzähler, ein geistvoller Unterhalter, unerschöpflich in seinem Anekdotenschatz, mitteilsam bis zur Redseligkeit, eine sympathische Natur von ungestümem Temperament und bis ins Alter bewahrter Jugendfrische, mit einer Neigung zu Spott und Ironie, dabei aber selbst leicht verletzbar und nicht ohne einen mit den Jahren zunehmenden Hang zu übersteigertem Selbstgefühl. Die Freunde des stets verschuldeten Mannes lobten einmütig seine Hilfsbereitschaft, seine grenzenlose Uneigennützigkeit und überschwengliche Gastfreundlichkeit; seine Gegner fanden ihn eitel, aufdringlich und von nervöser Geschäftigkeit. Wilhelm Grimm schätzte ihn als einen Menschen von «leicht bewegtem, edlem Herzen», die Rahel nannte ihn ihr «geliebtes Genie», Schiller zählte ihn, obgleich zeitweise mit ihm arg zerstritten, zu den «besten Köpfen» Deutschlands, und niemand hat ihm je Geist, Witz, Güte und tiefes humanes Empfinden abgesprochen.
Vor allem war Reichardt ein Künstler und Schriftsteller von umfassender Bildung, ehrgeizig, energiegeladen, unermüdlich arbeitsam, leicht schaffend und von immenser Produktivität. «Er zitterte geradezu vor Tatendrang», hat einer seiner Biographen über ihn geschrieben. Die Vielseitigkeit seiner Interessen und Begabung, die Aufgeschlossenheit nach allen Seiten und seine große Welterfahrenheit ließen ihn jedoch die Gefahr verkennen, seine Kräfte zu zersplittern. Als praktischer Musiker, als Liederkomponist, als Musikschriftsteller und Journalist hat er Bedeutendes geleistet und schöpferisch an allen großen geistigen und politischen Strömungen seiner Zeit teilgenommen, an der Aufklärung, der er am tiefsten verhaftet blieb, am Sturm und Drang, an der Klassik, fördernd auch an der Romantik, an dem durch die Französische Revolution ausgelösten politischen Aufschwung im deutschen Bürgertum und als begeisterter Patriot am Kampf um die Überwindung der napoleonischen Fremdherrschaft. Und doch ist es ihm versagt geblieben, in einem Bereich wirklich bahnbrechend gewirkt und Außergewöhnliches und Hervorragendes hinterlassen zu haben.
Als Künstler steht Reichardt, gemessen an den Großen seiner Epoche, in der zweiten Reihe. Zieht man jedoch seine politische Haltung, seinen antifeudalen Oppositionsgeist, seinen Demokratismus und Republikanismus, seine politische Publizistik in Betracht, so gehört er unstreitig zur Avantgarde seiner Zeit, zu dem kleinen Kreis der deutschen Schriftsteller, die mit Mut und großem persönlichem Einsatz in den neunziger Jahren des 18. Jahrhunderts daran gingen, die politische Erziehung des jungen deutschen Bürgertums zu fördern. Reichardt konnte 1795 von sich sagen, er sei ein «enragierter Demokrat», ein Mann des entschiedenen Fortschritts, den seine politische Überzeugung seine berufliche Existenz gekostet hatte. Auf seinen großen Reisen liebte es Reichardt, fast täglich Aufzeichnungen zu machen und in Briefen an seine Frau oder an Freunde von allen größeren und kleineren Erlebnissen, Begebenheiten und Eindrücken zu berichten. Die «Vertrauten Briefe», die er 1792 und 1802/03 aus Frankreich schrieb, sind damals als Bücher erschienen und gehören zu dem Besten, was Reichardt als Chronist seiner Zeit und als Reiseschriftsteller hervorgebracht hat. Die Eindrücke, die er 1792 vom bunt bewegten Geschehen im Paris der Revolution aufzeichnete, sind frisch, lebendig und voller Sympathie für das revolutionäre Frankreich. In den Briefen von 1802/03 tritt die politische Sphäre etwas zurück, und Impressionen über den Zustand der französischen Gesellschaft, über Begegnungen mit der Kunst und Musik, mit der Literatur, der Wissenschaft und dem Theater kommen mehr ins Bild. Reichardts persönlicher Mentalität entsprach die feuilletonistische Erzählung, die lockere Aneinanderreihung interessanter kulturgeschichtlicher Schilderungen. Auch in den Briefen ist er der liebenswürdige Plauderer, der er im Salon gewesen ist. Als ausgezeichneter Beobachter weiß er über vielerlei aufschlußreich zu sprechen, als Menschenkenner gelingen ihm literarische Porträts von großer Schärfe und Lebensechtheit. Die Reisebriefe aus Frankreich sind eindrucksvolle Zeugnisse seiner fortschrittlichen politischen Gesinnung. Sie dokumentieren den demokratischen Kosmopolitismus des deutschen Musikers und Publizisten, seine Liebe zu Frankreich und zum eigenen Vaterland, seinen Sinn für die humanistischen Werte der Kultur der Vergangenheit und seiner Gegenwart. .....

Herausgegeben und eingeleitet von Rolf Weber
Mit zeitgenössischen Illustrationen
Schutzumschlag: Hans-Joachim Schauß

Verlag der Nation Berlin
1. Auflage 1980 
 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Wichtiger Hinweis

Seit dem 25. Mai 2018 gilt auch in Deutschland die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO).

Mit der Abgabe eines Kommentars erklärt Ihr euch einverstanden, dass personenbezogene Daten (z.B. IP-Adresse, Standort des Logins etc.) eventuell abgespeichert und für Statistiken von Google weiterverarbeitet werden.

Beim Absenden eines Kommentars für weitere Benachrichtigungen auf Folgekommentare erklärt ihr euch ebenfalls einverstanden, dass personenbezogene Daten (z.B. IP-Adresse, Standort des Logins etc.) abgespeichert werden.