06 Februar 2025

Wassilij Grossmann: Die Hölle von Treblinka

 Die „Hölle von Treblinka“ war einer der ersten Augenzeugenberichte über Konzentrationslager. Der Artikel wurde ursprünglich 1944 veröffentlicht und diente der Anklage als Dokument bei den Nürnberger Prozessen.

Treblinka war ein Vernichtungslager in der Nähe von Warschau. Im Auftrage Himmlers wurde das Lager 2 ausschließlich für das Töten von Menschen gebaut.
Wassilij Grossmann beschreibt anhand von Zeugenaussagen die Unmenschlichkeit, den Sadismus und die Brutalität der SS-Wachmannschaften. In den Jahren 1942/43 sind hier Millionen von Menschen gequält, erschlagen, vergast und verbrannt worden. Industrieläßig organisierter Mord.
Es ist für den normalen Menschenverstand fast unbegreiflich, welche Greueltaten, Hass, Unmenschlichkeit und Sadismus der Hitlerfaschismus mit seinem Rassenwahn und seiner Herrenmenschenideologie hervorbrachte.
Wassilij Grossmann schreibt: "Es ist unendlich schwer, davon auch nur zu lesen. Möge der Leser nur glauben - es ist nicht weniger schwer, darüber zu schreiben. "

Buchanfang:
Den westlichen Bug entlang ziehen sich von Warschau nach Osten Sandflächen und Sümpfe, dichte Nadel- und Laubwälder. Diese Gegend ist öde und trist, selten trifft man auf Dörfer. Der Fußgänger wie der Durchreisende meiden die versandeten, schmalen Feldwege, in denen der Fuß versinkt und das Rad bis zur Achse in tiefem Sand versackt.
Hier, an der Siedlcer Zweigbahn, liegt die kleine, weltabgeschiedene Station Treblinka, etwas über sechzig Kilometer von Warschau entfernt, unweit der Bahnstation Malkinja, am Kreuzungspunkt der Eisenbahnlinien von Warschau, Bjelostok, Siedlce und Lomza.
Viele, die 1942 nach Treblinka gebracht worden sind, mögen in Friedenszeiten hier durchgefahren sein und mit zerstreutem Blick die magere Landschaft überflogen haben – Kiefern, Sand, Sand und wieder Kiefern, Heidekraut, vertrocknetes Gebüsch, dürftige Bahnhofsbauten, Gleise, die sich überschneiden ... Und vielleicht hat das gelangweilte Auge des Reisenden flüchtig das einspurige Nebengleis gestreift, das von der Station aus zwischen eng herandrängenden Kiefern in den Wald verläuft. Dieses Gleis führt zu einer Grube, aus der weißer Sand für industrielle und Wohnbauten gewonnen wurde.
Die Sandgrube liegt vier Kilometer von der Station entfernt, in einer auf allen Seiten von Kiefernwald umgebenen Einöde. Der Boden ist hier karg und unfruchtbar, die Bauern bestellen ihn nicht. So ist die Einöde wüst geblieben. Da und dort ist der Boden moosbedeckt, da und dort wachsen magere kleine Kiefern. Manchmal fliegt eine Dohle oder ein buntschopfiger Wiedehopf vorbei. Dieses traurige Ödland wurde von dem deutschen Reichsführer-SS Heinrich Himmler ausgesucht und für geeignet befunden, hier eine Richtstätte für die ganze Welt zu schaffen. Das menschliche Geschlecht hat ihresgleichen von den Zeiten vorgeschichtlicher Barbarei bis in unsere harten Tage nie gekannt. Wahrscheinlich hat es das im ganzen Weltall nie gegeben. Hier wurde der größte Menschenschlachthof der SS geschaffen, der Sabibur, Maidanek, Belschiza und Oswienzim noch übertrifft.
In Treblinka gab es zwei Lager: das Arbeitslager Nr. 1, in dem Gefangene verschiedener Nationalität, vor allem Polen, arbeiteten, und das Lager Nr. 2, das jüdische Lager.
Lager Nr. 1 – das Arbeits- oder Straflager – befand sich unmittelbar neben der Sandgrube am Waldrand. Es war ein Lager, wie sie von der Gestapo zu Hunderten und Tausenden in den besetzten Ostgebieten eingerichtet wurden. Es entstand 1941. Wie auf einen Nenner gebracht, sind die vom schrecklichen Zerrspiegel des Hitlerregimes fratzenhaft verunstalteten deutschen Charakterzüge in ihm vereint. So reflektiert ein Fieberkranker in hitzigen Wahnvorstellungen entstellt und verunstaltet jene Gedanken und Gefühle, die er vor seiner Krankheit durchlebt hat. So entstellt ein Irrsinniger im Zustand geistiger Trübung durch seine Taten das logische Handeln und Denken normaler Menschen. So geht der Verbrecher zu Werke, der bei dem Hammerschlag gegen den Stirnansatz seines Opfers handwerkliche Geschicklichkeiten – das Augenmaß und die Behendigkeit des Schmiedes – mit der Kaltblütigkeit des Unmenschen vereint.
Die vielen Deutschen eigene Sparsamkeit, Genauigkeit, Umsicht und pedantische Reinlichkeit sind keine schlechten Züge. Wenn sie in der Landwirtschaft oder Industrie zur Geltung kommen, tragen sie ihre Früchte. Der Hitlerismus hat diese Eigenschaften zu Verbrechen gegen die Menschheit benutzt, und die SS hat sich in dem polnischen Arbeitslager benommen, als ob es sich um die Zucht von Blumenkohl oder Kartoffeln handelte.
Die Lagerfläche wurde in gleichmäßige Rechtecke zerschnitten, die Baracken in schnurgeraden Reihen aufgeführt, die Wege mit Birken eingesäumt und mit Sand bestreut. Für das Hausgeflügel wurden Schwimmbecken ausbetoniert, für das Wäschewaschen des deutschen Dienstpersonals Spülbassins mit bequemen Stufen, dazu eine musterhafte Bäckerei, eine Barbierstube, eine Garage, eine Tankstelle mit Glaskugel und Speicher gebaut. Fast nach den gleichen Regeln wurde auch das Lubliner Lager in Maidanek angelegt – mit Gärtchen, Trinkwassersäulen, betonierten Wegen. Nach dem gleichen Schema hat man in Ostpolen Dutzende andere Arbeitslager geschaffen, wo sich die Gestapo und SS ernsthaft und dauernd festzusetzen gedachten. In der Anlage dieser Lager drückt sich der deutsche Hang zur Genauigkeit aus, die jede Kleinigkeit berechnende Umsicht, ein pedantischer Ordnungstrieb, die deutsche Vorliebe für bis in die kleinsten Nebensächlichkeiten und Einzelheiten ausgearbeitete Pläne und Schemen.
Die Leute kamen mitunter für eine ziemlich kurze Frist in das Arbeitslager für vier, fünf, sechs Monate. Hierher trieb man Polen, die die Gesetze des Generalgouvernements verletzt hatten, wobei als Regel galt, daß die Gesetzesübertretung unwesentlich gewesen sein mußte, weil wesentlichere Verstöße nicht Lagerhaft, sondern sofortigen Tod zur Folge hatten. Eine Spitzelaussage, eine Verleumdung, ein zufälliges, auf der Straße fallen gelassenes Wort, die Nichterfüllung der Zwangslieferungen, die Weigerung, einem Deutschen Fuhrwerk oder Pferd zu geben, die Kühnheit eines Mädchens, das Liebesanträge eines SS-Manns zurückwies, nicht die tatsächliche Sabotage bei der Arbeit in der Fabrik, sondern der bloße Verdacht einer Sabotage – all das brachte Hunderte und Tausende von polnischen Arbeitern, Bauern, Intellektuellen in das Straflager, Männer und Mädchen, Greise, Halbwüchsige und Familienmütter. Insgesamt sind etwa fünfzigtausend Menschen durch das Lager gegangen. Juden gerieten in das Lager nur, wenn sie tüchtige und geschickte Handwerker waren – Bäcker, Schuster, Kunsttischler, Maurer, Schneider. Es gab hier alle möglichen Werkstätten, darunter eine gediegene Möbeltischlerei, die die Stäbe der Wehrmacht mit Sesseln, Tischen und Stühlen belieferte.
Das Lager Nr. 1 bestand vom Herbst 1941 bis zum 23. Juli 1944. Es wurde vollständig liquidiert, als die Gefangenen bereits das dumpfe Dröhnen der Sowjetartillerie hörten ...
Am 23. Juli frühmorgens schritten die Wachtmannschaften und SS-Leute, nachdem sie sich mit Schnaps ermuntert hatten, an die Ausrottung des Lagers. Am Abend waren sämtliche Gefangenen ermordet – ermordet und verscharrt. Der Warschauer Schreiner Max Lewit konnte sich retten, weil er, verwundet unter den Leichen seiner Genossen liegend, die Dunkelheit abgewartet hatte und in den Wald gekrochen war. Er erzählte, wie er in der Grube den Gesang von dreißig Knaben hörte, die vor der Erschießung »Das Lied vom Sowjetvaterland« anstimmten. Er hörte, wie einer der Jungen aufschrie: »Stalin rächt uns!«, er hörte, wie der Anführer der Jungen, Leib, der nach der Salve in die Grube gestürzt und auf ihn gefallen war, sich noch einmal aufrichtete und bat: »Pan Wachmann haben nicht getroffen, bitte noch mal, Pan Wachmann, noch mal!« .........

Aus dem Russischen übertragen von L. Becher

Verlag für fremdsprachige Literatur, Moskau
1. Auflage 1946

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