Vorwort
Kinderlied und Kinderspiel stehen in so inniger Beziehung zueinander, daß man sie nicht trennen kann. Seit Jahrhunderten, ja Jahrtausenden erbten sie sich von Generation zu Generation mit unermüdlicher Tradition fort bis in unsere Tage hinein. Wir wissen nicht, wer diese Verse, Reime und Weisen geschaffen hat. Aber das wissen wir, daß in ihnen alles das enthalten ist, was alle Glieder der Volks- und Kinderwelt bewegt. Unzählige Generationen haben ändernd und umformend an ihnen mitgewirkt.
Herder war einer der ersten, der die Eigenart und Gemütstiefe der kindlichen Volkskunst erkannte. Er schrieb: „Mein Gott, wie trocken und dünn stellen sich doch manche Leute die Seele eines Kindes vor. Und was für ein großes und treffliches Ideal wäre mir dasselbe, wenn ich mich je in Liedern dieser Art versuchte! Eine ganze, jugendliche, kindliche Seele zu füllen, Gesänge in sie zu legen, die, meistens die einzigen, lebenslang in ihm bleiben, welch ein Zweck, welch ein Werk!“
Im Paradiesgärtlein der kindlichen Volkspoesie steht die Einheit von Wort, Ton, Bewegung und Raumgestaltung, um die so viele vergeblich gerungen haben, in knospenhafter Schönheit und Vollendung vor dem staunenden Blick des unvoreingenommenen Betrachters.
Wer das vorliegende Büchlein aufschlägt, wird vielleicht zunächst den Eindruck des Bunten, Zufälligen haben. Wer näher zusieht, wird die innere Ordnung erspüren, die von den überhaupt ersten Eindrücken des werdenden Menschen, dem Wiegenlied der Mutter, über Kose-, Schunkel- und Kniereiterliedchen, Kinderstubenreime, Tier- und Naturlieder, lustige Geschichten, Rate- und Lügenmärchen, Spott- und Kettenreime, Auszählreime bis hin zu den eigentlichen Kinderspielen führt, die unter sich wiederum, der jeweiligen Wachstumsstufe entsprechend, vom einfachen Ringelreihen über den erzählen- den Ringelreihen, den Ringelreihen mit Wahl, den Ringelreihen mit Raten und Haschen, den Ringelreihen mit Nachahmen, die Reihen- und Brückenspiele, den Ringelreihen über alte Balladen und Märchenstoffe, bis hin zu den Volkstänzen der Großen reichen.
Sämtlichen Liedern und Tänzen, die übrigens grundsätzlich einstimmig gesungen werden sollen, ist eine zweite, instrumentale Stimme sowie eine Harmoniebuchstaben-Bezifferung beigegeben. Gedacht ist bei der Instrumentalstimme zunächst an die fast überall vorhandene kleine Blockflöte in C, die sogenannte Sopranflöte, deren Umfang für die Gestaltung der Sätze maßgebend war. Sie kann jedoch auch von jedem anderen Melodieinstrument (Geige) ausgeführt werden. Die Harmoniebuchstaben sind vorzugsweise für die Gitarre oder Laute bestimmt. Jedoch ist ihre Ausführung auch auf einem Akkordeon ohne weiteres möglich.
Grundsätzlich sei noch einmal nachdrücklich ausgesprochen, daß alle hier gebotenen Melodien in sich vollkommen sind und keiner Begleitung bedürfen. Wo die Verhältnisse es erlauben, bediene man sich der Sätzchen zur klanglichen Bereicherung und Ausdruckssteigerung.
Das Büchlein wendet sich an alle Kinderfreunde, Kindergärtnerinnen, Hortnerinnen, Erzieher und Erzieherinnen und vor allem an die Mütter und möchte ihnen zeigen, wie unsere Kinder „reden und scherzen, singen, springen und spielen, immer lustig lachend ihre Tage sonder Klage verbringen im goldenen Ländchen der Kindheit“.
Möchten es doch alle, die mit Kindern und ihrer Erziehung tun haben, immer wieder bedenken, daß im Kinderlied und -spiel die erste Berührung mit den Grundelementen der Sprache und Musik, der Kunst überhaupt stattfindet! Es hängt außerordentlich viel davon ab, in welcher Weise es geschieht. Das Beste und das bietet unser Büchlein ist dafür gerade gut genug.
Halle (Saale), Herbst 1949
GERD OCHS
Vorwort zur 4., erweiterten Auflage
Als vor nunmehr 10 Jahren das „Goldene Tor“ seine Reise in die Kindergärten, Kinder- und Schulstuben und Ausbildungsstätten für Kindergärtnerinnen, Hortnerinnen und Erzieher ging es dem Herausgeber nicht nur um Erhaltung, Pflege und Neubelebung z. T. vergessener Kinderlieder, Reigen und Singspieltänze, sondern auch um Anregung neuem kindertümlichem Liedschaffen.
Die zehnjährige Entwicklung auf allen Gebieten der Volkskunst hat diesen Wunsch Wirklichkeit werden lassen. Eine Reihe in unserer Zeit entstandener Kinderlieder und spiele sind in diese Neuauflage aufgenommen worden. In ihnen spiegelt sich das Neue des Lebens in unserer Republik wider.
Der Herausgeber wünscht der bereicherten Sammlung eine ebensolche Verbreitung, wie sie die vorangegangenen Auflagen gefunden haben.
Halle (Saale), Herbst 1960
GERD OCHS
Die schönsten Volkskinderlieder und Singspieltänze
Für Haus, Kindergarten, Hort und Schule ausgewählt, textlich und musikalisch bearbeitet und herausgegeben VON GERD OCHS
Umschlagentwurf: Friedrich Stein
VEB Friedrich Hofmeister Musikverlag Leipzig
1. Auflage 1950
2. Auflage
3. Auflage 1955
4. erw. Auflage 1960
5. Auflage 1962
6. Auflage 1966
7. Auflage 1968 [21.-30. Tsd.]
8. verä. Auflage 1971 [31.-40. Tsd.]
9. Auflage 1974 [41.-55. Tsd.]
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Wichtiger Hinweis
Seit dem 25. Mai 2018 gilt auch in Deutschland die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO).
Mit der Abgabe eines Kommentars erklärt Ihr euch einverstanden, dass personenbezogene Daten (z.B. IP-Adresse, Standort des Logins etc.) eventuell abgespeichert und für Statistiken von Google weiterverarbeitet werden.
Beim Absenden eines Kommentars für weitere Benachrichtigungen auf Folgekommentare erklärt ihr euch ebenfalls einverstanden, dass personenbezogene Daten (z.B. IP-Adresse, Standort des Logins etc.) abgespeichert werden.