24 März 2025

Herbert Bruna: Wenn die Sehnsucht kommt

Buchanfang:
An einem verschneiten Februarabend, an dem eingemummte Gestalten durch das Dorf huschten, schritt auch ein Mann, namens Robert Uetzkühl, in Pelzjacke und blanken Stiefeln die Straße entlang, dem Gasthof Zur Scharfen Ecke entgegen, hinein in den Maskenball, in das Fest der tausend schönen Mädchen. Er klopfte Schnee von der Jacke, stampfte mit den Stiefeln, daß Schneelauge spritzte, blinzelte hinauf zum Saal, wo Musik und Masken tobten, und riß die Tür der Gaststube auf. Er hob den Kopf, wie um sich größer zu machen, und durchmaß den Gastraum, Rauch und Maskenrummel. Sein Gesicht, das braune und rechtwinklige, verkündete Spannung und Mut. Er fühlte, daß man die Köpfe nach ihm drehte, daß Redewirrnis und Gläserklirren schwankten, weil er auftauchte wie ein gefährlicher Brand, der aus allen Weiten und Winkeln beobachtet wird.
Er warf die schneefeuchte Pelzjacke ab, zog mit dem Stiefel einen Stuhl heran und setzte sich, exakt in Beinstellung und Kopfbewegung, als wollte er augenblicks mit einer geschliffenen Rede hineinschlagen in dieses Fest der tausend schönen Mädchen, das am trefflichsten für ihn selber zurechtgemacht schien. In die Runde schielend, stellte er fest: Alles ist da, was ich brauche, Polizist und Bürgermeister – und hauptsächlich der alte Baltrich Baudersee!
Er bestellte Wein, legte dabei der fiebernden, sich ihm zuneigenden Bedienungsfrau, der Kranzbinderin Ada Kummer, die Hand auf die Schulter und redete leise.
Wie in eine Tiefe hineinspähend, betrachtete er die dunkle Weinflasche und das zerbrechliche Glas. Noch rührte er beides nicht an. Er bot ein Bild erzwungener Ruhe und lauernden Zorns. Viele Gäste verließen die Gaststube nicht, ahnten einen brillanten Auftritt.
Robert Uetzkühl aber lächelte beim Wein und dachte plötzlich: Man sollte das Glas zerdrücken und sich die Hand aufschneiden dabei, um den alten Baudersee mit ein paar frischen Blutstropfen daran zu erinnern, daß auf diesem Maskenball ein Mädchen fehlt!
Er war nicht gekommen, um sich in den Saal zu stellen oder sich vom bunten Gedränge umherstoßen zu lassen. Zwei Mädchen hatten sich beteiligen wollen, in kurzen Strohröcken, mit schwarzem Brusttuch und weißen Blumen im Haar.
Aber – ein Mädchen fehlt!
Wo ist es?
Das werde ich euch genau offenbaren! dachte Robert Uetzkühl und goß neuen Wein in das Glas. Er betrachtete seine Hand, bevor er zum Glase langte. Er hörte ein Trinkwort. Er blickte auf und nickte einigemal, als begrüßte er jetzt erst die bäuerliche Tischgesellschaft.
„Ja“, sagte er, „gut gemeint! Aber ob man Lust hat zum Trinken, das ist hier die Frage!“
Er nahm einen Schluck, umschloß das Glas mit derber Hand, betrachtete es lange, neue Gedanken suchend, und setzte es behutsam auf den Tisch zurück.
„Seltsam“, meinte er, „gerade heute zu unserem Fest der tausend schönen Mädchen, wo jeder seine Freude sucht, muß ich immer wieder an diesen alten Mann denken, den man Brandrüpel nannte, der seine Frau und deren Schwester mit dem Beil erschlug und den man dann, auf einen Pferdewagen gekettet, durch das Dorf zum Gericht gefahren hat!“
Wieder umschloß er das Weinglas mit derber Hand. Er trank, setzte das Glas abermals behutsam, behutsam auf den Tisch zurück und sagte: „So ein Mann, der Brandrüpel! Er legt sich mit den beiden Frauen, die ihn unbarmherzig gepeinigt haben sollen, in die Kammer, wie jeden Abend, wartet, bis sie eingeschlafen sind, erschlägt sie mit dem Beil und brennt seine Lehmbude an, wonach er zur Täuschung wie wahnsinnig und halbnackt um den Brand herumtorkelt. Jeder von euch hat diese Geschichte gehört. Meine Mutter hat sie mir erzählt, in allen Einzelheiten: wie er das Beil, ein Kinderbeil, geschärft und daß er es in der Kammer, in seinem Stiefel, versteckt hat. Das wird erzählt, als hätte Brandrüpel ein Geständnis abgelegt. Aber nichts hat er vor Gericht gestanden, nichts, obgleich man ihn an die Gräber geführt hat, und so ist er wieder freigelassen worden, der Brandrüpel, ein Doppelmörder und Brandstifter!“
Zur Antwort erhielt Robert Uetzkühl einiges Kopfnicken, und er fügte hinzu: „Welcher Mörder legt überhaupt ein Geständnis ab?“
Und nach einer Weile sagte er: „Ach, mir schmeckt der Wein heute nicht! Warum bloß nicht? Kann man sich das denken?“
Und unbeirrt, mit genauem Ziel, redete er weiter: „Das ist die Frage, ob einem der Wein schmeckt, wenn man von solchen Mordgeschichten heimgesucht wird! Da muß ich auch an diesen Mann mit dem schrecklichen Namen denken, an diesen Wolfsgefährt, der im Jahre neunzehnhundertfünfundvierzig seine zarte Frau und seine drei erwachsenen Töchter mit einem Revolver erschossen hat und hinterher .......

Illustrationen und Einbandvignetten: Horst Bartsch
Sonderausgabe für die Kleine Hausbibliothek

Verlag Das Neue Berlin, Berlin
Reihe:
Kleine Hausbibliothek
1. Auflage 1961

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