16 Juli 2023

Hanns H.F. Schmidt: Sagen aus der Altmark – neuerzählt nach alten Überlieferungen

Buchanfang
Die „Goldene Laus“

Um die Mitte des 14. Jahrhunderts war es in deutschen Landen nicht sonderlich gut mit dem Frieden und der Ordnung bestellt. Der Kaiser Karl IV, aus dem Stamm der Luxemburger, kämpfte um seinen Thron gegen die Wittelsbacher, die überall sich Parteigänger warben. Der „falsche Woldemar“ stiftete in der Mark Brandenburg (und zu ihr gehörte die Altmark) und über ihre Grenzen hinaus tiefgreifende Unruhe. Er gab sich als der letzte Askanier aus, obwohl der Stamm bereits ausgestorben war. Streit und Kampf lösten soziale Unruhen aus, die zum Beispiel in Stendal 1315 zur Vertreibung vieler Familien des Patriziates führten. Und zu allem Unglück streifte der Schwarze Tod, die Pest, furchtbar im Land umher.
Die Menschen, immer beeinflußt durch den Glauben, daß sich in allem Walten und Wandeln ein höherer Sinn verberge, warteten voller Spannung auf ein Zeichen, daß eine Veränderung kommen würde. Und da fiel in einer Nacht in Bismark, dem Ort an der bischöflichen Grenze zwischen den Bistümern Verden an der Aller und Halberstadt, unter denen das altmärkische Land aufgeteilt war, ein Kreuz vom Himmel. Das mußte doch ein Hinweis auf die Erfüllung aller Hoffnungen sein, und ungezählte Pilgerscharen scheuten den Weg nicht nach Bismark, um sich selbst von diesem Wunder zu überzeugen.
Bis zu dieser Stelle kennt auch die Chronik die Begebenheit. Nun aber ist die Sage an der Reihe. Sie weiß nämlich, daß der Priester in Bismark von den Zugereisten reiche Opfergaben einsammeln konnte, die bald einen solch hohen Wert besaßen, daß er beschloß, für das Wunderkreuz, das selbst Kranke geheilt hatte, müsse eine neue, sehr große Wallfahrtskirche erbaut werden. Die vorhandenen Bauplätze in Bismark wurden als zu klein verworfen. Außerhalb des Ortes legte man ein Fundament mit beachtlichen Ausmaßen. Die Bauarbeiten gingen gut voran.
Das Bauwerk war noch nicht vollendet, als der Strom wertvoller Opfergaben und Geldgeschenke versiegte. Es kamen weniger Menschen nach Bismark. Man hörte von Raub und anderen Gewalttaten bis hin zum Mord, die vorgefallen waren. Und das in unmittelbarer Nähe eines Kreuzes, welches vom Himmel gefallen war? Und überhaupt: Was hatte sich denn seit jenem Zeitpunkt verändert? Nichts.
Der auf Repräsentation bedachte Priester bemerkte die Wendung mit wachsendem Mißbehagen. Das gehortete Geld würde nicht einmal zur Errichtung des Turmes und zum Dachdecken ausreichen. Er verheimlichte seine Zahlungsschwierigkeiten von Woche zu Woche vor den zahlreichen Handwerkern und hoffte inständig, daß neue Pilgerzüge zur Wallfahrtskirche Geld und Gaben brächten. Das geschah aber nicht.
In einer Nacht, als der Priester sich schlaflos von einer Seite zur anderen wälzte, klopfte es leise an seine Kammertür. Als er erschrocken den Riegel zurückzog, um einen Blick durch den Spalt zu wagen, stand der Teufel da. Mit freundlicher Miene, muß man hinzufügen. Der lächelnde Teufel machte auch nicht viel Worte – er zeigte nur auf viele Beutel mit gedigenem Gold als Gegenwert für die Seele des Priesters nach dessen Tode. Das war keine leichte Entscheidung für den frommen Mann. Aber andererseits war nur dieses Geld seine Rettung. Er willigte in den ververhängnisvollen Handel ein, konnte vom nächsten Tage an noch mehr Handwerker und Tagelöhner einstellen und erlebte bald die feierliche Einweihung des Bauwerkes
Als der Priester den Gevatter Tod nahen fühlte, betete er mit einiger Berechtigung, daß er ja immerhin das Gold nicht für sein persönliches Wohlleben ausgegeben habe, sondern sich auch viel Mühsal aufgeladen hätte mit dem Kirchenbau. Er fand Gnade, erzählt die Sage, und es kam promt ein Engel, gegen den der Teufel die Seele einbüßte.
Der Teufel war auf das Äußerste erzürnt. Nun stand er mit leeren Händen da, obwohl er einen großzügigen Einsatz bezahlt hatte. In seiner Wut verwandelte er alles übriggebliebene Gold und die Münzen aus den Opferstöcken in ein großes Stück, das wie ein rundes Brot geformt war. Zuerst wollte er diesen Schatz wieder mit sich nehmen, aber dann murmelte er einen Zauberspruch und zog lange, goldene Beine aus dem Klumpen, auf denen der nun plötzlich wie eine riesige Laus dahinkroch. Die goldene gefräßige Laus versteckte sich in allen Winkeln des Kirchenschiffs und im Turm und griff dann überraschend die Besucher an. Die Menschen konnten sich nur vor ihr retten, in dem sie ihr Fleischbrocken in den Weg warfen.
Das teuflische Tier wurde zum Schrecken der Pilger. Niemand wagte sich mehr in die verrufene Kirche. Sturmschäden besserte niemand mehr ans Der Zerfall griff um sich. Mauern bröckelten ab. Und heute treten die spärlichen Besucher nur noch vor die Feldsteinmauern der Turmruine, die freilich noch immer die „Goldene Laus“ genannt wird.

Titelbild und Zeichnungen von Klaus Ozminski

Selbstverlag: Verband der Journalisten der DDR, Gebietsgruppe Salzwedel

1. Auflage 1987
2. überarb. Auflage 1988

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