01 August 2023

Jan Kozák: Als Jäger in der Taiga

 Jan Kozák lebte mehrere Wochen als Gast eines sibirischen Jägers inmitten der Wildnis. Er lernte das Leben der Taigajäger kennen; im Winter ging er mit ihnen auf die Jagd nach Pelztieren, im Frühjahr jagte er Hirsche, und dabei hatte er viele abenteuerliche Begegnungen mit Wölfen, Bären und dem Vielfraß. Seine Eindrücke und Erlebnisse schrieb er in diesem Buch nieder.

Buchanfang
Auf Jagd an der Bambujka
Das also ist die Taiga! Als ich vor einigen Tagen in Prag das Flugzeug bestieg, wußte ich über sie gar nichts. Auch beim Schriftstellerverband in Moskau konnte man mir über den Ort meines Reiseziels kaum etwas sagen. Der Grund dafür war ganz einfach: Keiner meiner Gesprächspartner war in diesen weiten Räumen Sibiriens gewesen. „Das liegt irgendwo im nordöstlichen Zipfel der Burjatmongolischen Autonomen Sowjetrepublik, weit hinter dem Baikalsee. Dort gibt es Stellen, die noch keines Menschen Fuß betreten hat. Seien Sie daher nicht ungehalten, wenn nicht alles so ist, wie es sein sollte. Sie wollen ja die Taiga und das Leben der Jäger kennenlernen.“
In Ulan-Ude herrschte leichter Frost. Ich hatte bereits eine Reise von fast achttausend Kilometer Luftlinie hinter mir, als ich am 25. Oktober, genau zu Beginn der Pelztierjagd, erneut in ein Flugzeug kletterte.
In der AN-2 gab es keine Stewardeß mehr, die Bonbons angeboten hätte. Gemeinsam mit zwei Jägern, die ihr Gewehr zwischen den Beinen hielten, ihren Hunden und einer Gruppe Geologen saßen wir – mein Begleiter Daba und ich – wie in einem alten, unbeheizten Autobus auf den Bänken längsseits des Flugzeuges, der Innenraum war vollgestopft mit Gepäck, Säcken und Kisten. Die Sitze hatten keine Gurte. Als die Maschine auf Höhe ging, rutschte alles nach hinten weg zum Schwanz.
Kurz nach dem Start schaute ich aus dem Fenster und sah die Taiga. Mäßig hohes zerklüftetes Gebirge, bestanden mit Tanner und Zirbelfichten, stellenweise gähnten Kahlflächen. Daba, ein burjatischer Jäger, der mich bis Bagdarin begleiten sollte (er arbeitete in der Genossenschaftszentrale Burkoopsojus), verschwand in der Kanzel. Nach einer Weile bat mich der Pilot zu sich. Er hatte als Jagdflieger gedient, flog auf dieser Strecke bereits seit neun Jahren und kannte das Gelände genau. Ich saß in seinem Rücken an eine Eisenstange gelehnt, die verhinderte daß ich bei einem plötzlichen Schwanken unter die Mitreisenden und das Gepäck zurückfiel, und betrachtete durch die Glasnase der Kabine die Gegend. Wir flogen in Richtung Nordost. Etwa nach einer Flugstunde änderte sich die Taiga allmählich.
Zwischen zahllosen kleinen Teichen sah man immer häufiger Birken, niedrigen Strauchbewuchs und grasbestandene Ebenen. Der Rauhreif verlieh ihnen einen matten silbrigen Glanz. Die kleinen, von der Sonne beschienenen Flüsse waren noch nicht zugefroren.
Später wurde die Landschaft erneut hüglig, und in der Ferne tauchten Berge auf, deren Gipfel im Schnee glänzten. Jetzt flogen wir direkt gegen Norden, und unter uns breitete sich endloser, kahler, öder Wald aus. Die Taiga wurde spärlicher. Deutlich hoben sich ausgetrocknete steinige Wasserläufe ab, die nach Regengüssen und der Schneeschmelze mit Leben erfüllt werden. Kaum wahrnehmbar schlängelte sich ein schmaler Pfad, von Wild ausgetreten, im Gras zwischen Gebüsch dahin. Nur selten blinkte noch eine von steinigen Ufern gesäumte Wasserfläche. Die Landschaft voller Seen und Teiche lag offenbar hinter uns.
Dann erstarrten die Bäche und kleinen Flüsse, nahmen einen toten, ruhigen Glanz an. Die Taiga schien mir öde und leblos, gar nicht so wild, wie ich vermutet hatte. Sie lag unter mir wie verzaubert, trostlos und schroff. Und dennoch ging eine sonderbare rauhe Kraft von ihr aus. Das empfand ich selbst hier in der Luft, inmitten des Vibrierens und des Motorgeräuschs. Schon hier war ich von der düsteren Schönheit der wilden Natur erfüllt. Was erwartete mich hier?
Die Bergkuppen blieben links liegen, und wir gelangten in verschneites Gebiet. Wir flogen dicht über dem Boden. Ich suchte auf einem sonnigen Plateau nach Fährten und Bewegung. Als ich daheim in der Tschechoslowakei einmal über den Gebirgszug der Niederen Tatra flog, bemerkte ich im Schnee deutlich einen Fuchs; er lief sorglos über die ebene Fläche, die mit Spuren bestickt war wie ein Kopftuch. Äsende Rehe und Hirsche habe ich auf diese Weise mehrmals beobachtet.
Aber hier regte sich nichts. Den ganzen Weg über entdeckte ich nicht eine einzige Spur von Leben.
Nach drei Stunden Flug landeten wir in Bagdarin. Die Maschine setzte leicht, fast unmerklich wenige Meter von den Blockhäusern entfernt, auf. Die Sonne sah frostig weiß aus, und die Luft flimmerte. Aus den Schornsteinen stiegen weiße Rauchstreifen zum blauen Himmel; auf der Straße, von Gehsteigen aus Brettern gesäumt, liefen Laikahunde umher.
In der Siedlung aus gepflegten Blockhäusern gab es ein Krankenhaus und eine Internatsschule. Auch der Rat des Kreises hatte hier seinen Sitz. .....

Titel des tschechischen Originals: „Lovcem v tajze“  
Ins Deutsche übertragen von Bruno Liehm
Einband und Illustrationen: Ralf Jürgen Lehmann
 
Verlag Neues Leben, Berlin
BASAR

1. Auflage 1975
2. Auflage 1982

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Wichtiger Hinweis

Seit dem 25. Mai 2018 gilt auch in Deutschland die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO).

Mit der Abgabe eines Kommentars erklärt Ihr euch einverstanden, dass personenbezogene Daten (z.B. IP-Adresse, Standort des Logins etc.) eventuell abgespeichert und für Statistiken von Google weiterverarbeitet werden.

Beim Absenden eines Kommentars für weitere Benachrichtigungen auf Folgekommentare erklärt ihr euch ebenfalls einverstanden, dass personenbezogene Daten (z.B. IP-Adresse, Standort des Logins etc.) abgespeichert werden.