Noch sind Zeitreisen Science fiction, obwohl wir längst ein Transportmittel besitzen, uns in Vergangenheit oder Zukunft zu versetzen: die Literatur. Zwei Bücher sind dafür in doppelter Weise exemplarisch. Karl Mundstock, Jahrgang 1915, hat sie 1958 und 1962 veröffentlicht. Sie fanden jede Menge Leser in einem Land, das historisches Erbe annahm und auch verwarf.
Mundstock griff mit der Grundlage eigener Biografie auf die frühen 20er Jahre zurück, auf proletarisches Milieu, auf die Suche von Kindern, aus Welterfahrung Weltveränderung zu machen. Einen »Berliner Jungenroman« nannte er »Ali und die Bande vom Lauseplatz«, dem er als Fortsetzung »Gespenster-Edes Tod und Auferstehung« nachschickte. Ein willkommenes Erbe, denn die Erfüllung der Träume von einst schien sich in den drei Buchstaben DDR auszudrücken. Nun wäre Mundstock nicht der, der er ist, wenn er Geschichten aus der Geschichte bierernst eifernd erzählt hätte. Er ist von heiterem Gemüt, ein Humorist mit satirischen Neigungen, ein Unangepasster, ein Filou, ein Poet und hinreißender (wörtlich zu nehmen) Erzähler dazu. Er führt zurück in den Berliner Kiez rund um die Kiefholzstraße und zeigt eingangs seinen Helden Ali auf dem Weg zur Bonbon-Witwe, um sich für einige Milliarden Süßigkeiten zu beschaffen. Aha, sagen die Älteren, 1923, Inflation. Die heute Jungen haben von solchen Verhältnissen bestenfalls aus Schulbüchern erfahren. Doch bei Mundstock wird wie nebenbei das selbstverständliche Leben, der Umgang mit Alltag, der später Geschichte wird, anschaulich und vielleicht sogar lehrreich. Ali erlebt die Einführung des Gummiknüppels bei der Berliner Polizei, Import aus Amerika, er mischt mit im Klassenkampf, zu dem unbedingt eine Wanderausrüstung gehört, er wird zum Beschützer der kleinen Sophie und hat’s mit der großen Politik. (…)
Da ist eine Spur Kästner und sogar eine Prise Ludwig Thoma, weil mit proletarischer Sturheit und Schlitzohrigkeit. So, wie die Welt ist, so soll sie nicht bleiben. (…) – Von Klaus-Dieter Schönewerk
Verlag Neues Leben, Berlin, 6. Auflage, 1977 (1. Auflage 1962)
Illustrationen von Hans Mau.