Klappentext:
Daß Lehrjahre keine Herrenjahre sind, hat man Bruno Melzer schon während seiner Tischlerlehre eingebleut. Aber danach, da wird er es „denen da oben“ schon zeigen, da wird das Leben so richtig losgehen; und er hat auch schon konkrete Begriffe dafür: Geld, Frauen, ferne Länder. Doch dieses erhoffte Leben versandet, noch ehe es sich realisieren kann, bleibt – vergängliche – Utopie. Jeder Versuch, aus den erstarrten Denk- und Daseinsformen seiner Umwelt auszubrechen, scheint ihn stärker an diese zu binden. Das ist so in der Ehe mit Maria, einer durch Gleichmaß zermürbenden und aufreibenden Ehe, die andererseits aber in Melzer so etwas wie Verantwortung aufkommen läßt, wie in seinem Beruf, dessen Gleichförmigkeit ihn erstickt. Am Beispiel eines individuellen Lebenslaufes wird vor allem ein gesellschaftliches Dilemma deutlich, das Gernot Wolfgrubers Sprache mit großer Genauigkeit wiedergibt.
Gernot Wolfgruber, 1944 in Gmünd. Niederösterreich, geboren. Nach Hauptschule Lehrling und Hilfsarbeiter in verschiedenen Berufen, danach Studium der Publizistik und Politologie in Wien. Seit vier Jahren freier Schriftsteller. 1975 erschien sein erster Roman. „Auf freiem Fuß“ (NL-Podium 1978).
Buchanfang:
Melzer wußte selber nicht, woher er das hatte, er dachte auch nicht darüber nach, es schien ihm viel zu einleuchtend, war ihm etwas wie eine Lebensweisheit: daß es für jeden einen Zug gäbe, jeder seinen Zug habe, und worauf es ankomme, sei nur, rechtzeitig einzusteigen, ihn nicht zu verpassen, dann gehe es schon voran, dann ergäbe sich alles von selbst, weil es liege ohnedies alles am Zug, den man erwischt habe. Wie sein Zug aussehen würde, in den er würde einsteigen müssen, wußte Melzer nicht. Nur manchmal, wenn er aus dem Kino kam, hatte er das Gefühl, es sei ohnedies alles ganz klar.
Als die ersten seiner Freunde und ehemaligen Schulfreunde anfingen, gesetzter zu werden, zu heiraten, Kinder zu haben, auf den damals noch billigen Baugründen am Stadtrand in Richtung E. Häuser zu bauen, war er noch ganz sicher, daß er das alles anders machen, daß es mit ihm ganz anders laufen würde. Er konnte sich nicht vorstellen, daß man alles so leicht aufgeben kann, meinte, im Grunde seien das alles nur Kleinrentner, die eigentlich schon Schluß gemacht hätten. Er hat einen nach dem anderen von denen abgeschrieben, die plötzlich an den Freitag- und Samstagabenden zu Hause blieben und nicht mehr ins Espresso Zankl oder in eins der Wirtshäuser kamen und die er statt dessen an Sonntagen traf, wenn sie mit Frau und Kind ihren Stadtspaziergang machten.
Daß sich sein Lebenslauf, den er vor der Gesellenprüfung hatte schreiben müssen, nur durch die besonderen Zahlen seiner Daten von den Lebensläufen der Mitschüler in der Berufsschule unterschied, hat für ihn noch lange nicht bedeutet, daß das auch weiterhin so sein würde.
Er war in der Volksschule Durchschnitt gewesen und in der Hauptschule, hatte in keinem einzigen Fach unter den anderen hervorgestochen, seine Versetzung in die nächste Klasse war nie ernstlich gefährdet gewesen; manchmal war er guter Durchschnitt gewesen, manchmal schlechter, aber immer Durchschnitt. Und seine Lehrzeit war auch eine gewöhnliche Lehrzeit gewesen. Eine Zeit, die ........
Lizenzausgabe mit freundlicher Genehmigung des Residenz Verlages, Salzburg
Schutzumschlag: Peter Plattner
Einband: Eberhard Binder-Staßfurt
Verlag Neues Leben, Berlin
Reihe: NL podium
1. Auflage 1979